Vom Heilbad zum Wirkstoff
LBI für Arthritis and RehabilitationBereits im antiken Rom wusste man um die lindernde Wirkung von Schwefel-Heilbädern bei entzündlichen und degenerativen Gelenkserkrankungen. Burkhard Klösch und sein Team haben nun, gemeinsam mit internationalen Partnern, Wirkstoffmoleküle entwickelt, die in der Lage sind, den ‚heilsamen‛ Schwefelwasserstoff (H2S) direkt in Zellen einzuschleusen und ihn dort langsam und dosiert freizusetzen – mit erfreulichen Wirkungen, wie die neuesten Studien zeigen.
Der Bedarf an wirksamen Therapieoptionen bei Erkrankungen des Bewegungsapparats ist seit der Antike ungebrochen. Schon im antiken Rom nutzten die Menschen Thermen auch für schwefelhaltige Bäder, um Gelenksschmerzen zu lindern. Arthrose entsteht durch den fortschreitenden Abbau des Gelenkknorpels. Häufige Auslöser sind Sportverletzungen, Übergewicht, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel. Auffällig ist, dass die Erkrankung zunehmend auch bei jüngeren Menschen auftritt – trotzdem bleibt das Alter ein zentraler Risikofaktor: In Deutschland leiden mehr als die Hälfte der Frauen und rund ein Drittel der Männer ab dem 60. Lebensjahr an Arthrose. Neben großen Gelenken wie Knie, Schulter oder Hüfte können auch Fingergelenke von Arthrose betroffen sein. Ein weiteres Gesundheitsthema, das mit 80% der Betroffenen hauptsächlich Frauen nach der Menopause betrifft, ist die Osteoporose (Knochenabbau). Entsprechend dringend gesucht werden daher Behandlungsmöglichkeiten, die sowohl Knorpel als auch Knochen vor dem Abbau schützen und diese im Idealfall regenerieren.
Daran arbeiten Burkhard Klösch und sein Team vom LBI für Arthritis und Rehabilitation an der Karl-Franzens-Universität Graz. Klösch beschäftigt sich schon seit Jahren mit Schwefelwasserstoff (H2S) als Therapiemöglichkeit für entzündliche und degenerative Gelenkserkrankungen und ist der Ludwig Boltzmann Gesellschaft schon seit vielen Jahren verbunden. Als Molekularbiologe und Pharmakologe ist er auf Genetik und zelluläre Signalwege spezialisiert. Durch die Interaktion von Rezeptoren, Signalmolekülen und Zielproteinen können Zellen Informationen empfangen, verarbeiten und darauf reagieren.
Auf dem Weg vom Schwefelbad zu einer ‚heilsamen‛ Anwendung in Form von H2S freisetzenden Molekülen arbeitet das Team mit Kooperationspartnern an den Universitäten in Paris (CNRS), Graz und Wien zusammen. Den Schwefelwasserstoff an seinen Bestimmungsort zu bringen, ist schwierig: Das Molekül ist sehr kurzlebig, daher in seiner Freisetzung kaum kontrollierbar und zudem in hohen Dosen toxisch. Die Forschung konzentriert sich deshalb auf die Synthese von Molekülen, die H2S kontrolliert, in niedrigen Dosen und nur innerhalb der Zelle freisetzen.
„Über welche zelluläre Signalwege sich H2S in die Zellen einbringt und welche molekularen Mechanismen betroffen sind, wissen wir noch nicht ganz genau“, sagt Projektleiter Burkhard Klösch, „aber wir haben es geschafft, den chemisch instabilen Schwefelwasserstoff an bewährte Wirkstoffmodelle zu koppeln. Konkret an zwei unterschiedliche COX-2-Inhibitoren – Aspirin und Naproxen –, um ihn so in der Zelle langsam und dosiert freizusetzen.“ Ein erstes Screening von Wirkstoffkandidaten wurde in vitro in Zellkulturexperimenten durchgeführt. Der Vorteil der Verwendung von definierten Zellkulturlinien besteht darin, Effekte zunächst isoliert und unbeeinflusst von anderen Zelltypen analysieren zu können. Von ursprünglich rund 30 chemisch synthetisierten Schwefelverbindungen blieben drei übrig, die sich im ersten Screening als nicht toxisch erwiesen. Im nächsten Schritt wurden diese Kandidaten in unterschiedlichen in-vitro-Modellen für Entzündungen (Zelllinien von Makrophagen, Fibroblasten und Chondrozyten) sowie in einem Modell für Knochenabbau – vergleichbar mit dem bei Osteoporose – getestet. In beiden Versuchsreihen zeigten die Wirkstoffkandidaten jeweils die gewünschte Wirkung. Sie konnten spezifische Entzündungsmarker wie Interleukin-6, Interleukin-1β und die induzierbare NO-Synthase (iNOS) signifikant reduzieren und gleichzeitig den Umbau von Makrophagen in knochenabbauende Zellen (Osteoklasten) nahezu vollständig blockieren. Derzeit werden nun Knorpelzellen von Arthrose-Patient:innen von der Medizinischen Universität Wien (Karl Kiari Lab for Orthopaedic Biology, S Toegel) als Untersuchungsmodell verwendet, um vielleicht auch dort positive Effekte beobachten zu können.
2025 wollen Burkhard Klösch und sein Team jedenfalls herausfinden, wie und wo genau sich die Wirkung der Substanzen in den zellulären Signalwegen entfaltet: „Wir wissen, dass die Basis sehr gut funktioniert, aber den genauen Mechanismus kennen wir noch nicht.“ Mit molekularbiologischen und biochemischen Methoden, die am LBI für Arthritis und Rehabilitation und am Institut für pharmazeutische Wissenschaften der KFU Graz etabliert sind, „wollen wir den ‚Code‘ des Wirkmechanismus von H2S knacken“. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, keine falschen Hoffnungen zu wecken. Dennoch: Wenn sich positive Effekte auch im Tiermodell zeigen, kann die Medikamentenentwicklung weiter vorangetrieben werden. Mit Kolleg:innen an der Medizinischen Universität Wien und am LBI für Traumatologie in Wien soll als nächstes geprüft werden, wie sich die Substanzen in verschiedenen Tiermodellen bewähren.
Highlights
Größte weltweite Arthrose Konferenz in Wien im April 2024
Im April 2024 fand die OARSI Konferenz in Wien statt. Unsere Mitarbaiter:innen Felix Eckstein und Lisa Dorfer fungierten als OARSI Botschafter:innen und Tanja Stamm führte den Co-Vorsitz der Opening Session.
Best Evidence of OA Management Kurs erstmalig in Wien abgehalten
Ein Team um David Hunter aus Australien unterrichtete gemeinsam mit Lisa Dorfer im ersten Best Evidence of OA Management Kurs an der MedUni Wien.
Über 1800 Patient:innen für das BLOAR Arthrose Register rekrutiert
Ein signifikanter Fortschritt wurde bei der Rekrutierung der Arthrose-Patient:innen für das BLOAR Register erzielt.
Update des OA-Moduls für die European School of Rheumatology
Lisa Dorfer und Tanja Stamm wurden gebeten, das Arthrose-Modul der European School of Rheumatology zu überarbeiten.
ÖGPMR-Kongress
Im Zuge des ÖGPMR-Kongresses konnten drei zukunftsweisende Reha-Projekte vorgestellt werden. Ein strukturiertes Nachsorgetool („Balanced Life Kit“) soll Rehabilitand:innen nach der stationären Rehabilitation besser unterstützen. Das berufsorientierte Programm RehaJET® der PV zeigte deutliche Verbesserungen in Arbeitsfähigkeit und psychosozialer Belastung und wurde mit einem Posterpreis ausgezeichnet. Die durch B. Thauerer betreute und von C. Deutsch 2024 abgeschlossene Masterarbeit zur Reha bei koronaren Herzkreislauferkrankungen und die Anwendung von Krafttraining belegte, dass Praxis und Leitlinien teilweise übereinstimmen, allerdings mit Potenzial zur weiteren Optimierung.
Dissertationsseminar 2024: Rehabilitation im Fokus der Doctoral School
Durch die Initiative und Organisation des LBI-ARs fand 2024 zum zweiten Mal in Folge das Dissertationsseminar für Rehabilitation innerhalb der Doctoral School Musculoskeletal System & Oral Health an der Medizinischen Universität Graz mit dem Schwerpunkten Grundlagen zur Rehabilitation und Rehabilitationsforschung statt. Vortragende aus dem LBI-AR, der Pensionsversicherung sowie des LBI-RR konnten zentrale Themen wie Reha-Outcome-Forschung, PROMS und CROMS, Versorgungsstrukturen sowie die Rolle von Rehazentren fundiert vermitteln. Durch diese systematische Integration rehabilitationswissenschaftliche Inhalte in die Doctoral School kann ein bedeutender Schritt für die Sichtbarmachung translationaler Forschung im Bereich der Rehabilitation gesetzt werden.
Ausgewählte Publikationen
Nuclear Magnetic Resonance Treatment Induces ßNGF Release from Schwann Cells and Enhances the Neurite Growth of Dorsal Root Ganglion Neurons In Vitro. Rad A., Weigl L., Steinecker-Frohnwieser B., Stadlmayr S., Millesi F., Haertinger M., Borger A., Supper P., Semmler L., Wolf S., Naghilou A., Weiss T., Kress H.G., Radtke Ch
Anterior cruciate ligament injury and age affect knee cartilage T2 but not thickness. Herger S., Wirth W., Eckstein F., Nüesch C., Egloff C., Mündermann A
Is detection of disease-modifying osteoarthritis drug treatment more effective when performing cartilage morphometry without blinding to MR image acquisition order?. Eckstein F., Wisser A., Maschek S., Wirth W., Ladel C., Bihlet A.R., Knight C., Somberg K., Zhao L
Tendon involvement and its association with pain and hand function in patients with osteoarthritis of the hand. Gessl I., Vinatzer A., Supp G., Zauner M., Durechova M., Lechner L., Ritschl V., Smolen J., Stamm T., Aletaha D., Mandl P
2023 EULAR recommendations on imaging in diagnosis and management of crystal-induced arthropathies in clinical practice. Mandl P., D'Agostino M.A., Navarro-Compán V., Geßl I., Sakellariou G., Abhishek A., Becce F., Dalbeth N., Ea H.K., Filippucci E., Hammer H.B., Iagnocco A., de Thurah A., Naredo E., Ottaviani S., Pascart T., Pérez-Ruiz F., Pitsillidou I.A., Proft F., Rech J., Schmidt W.A., Sconfienza L.M., Terslev L., Wildner B., Zufferey P., Filippou G
EULAR recommendations for the non-pharmacological management of systemic lupus erythematosus and systemic sclerosis. Parodis I, Girard-Guyonvarc'h C, Arnaud L, Distler O, Domján A, Van den Ende CHM, Fligelstone K, Kocher A, Larosa M, Lau M, Mitropoulos A, Ndosi M, Poole JL, Redmond A, Ritschl V, Alexanderson H, Sjöberg Y, von Perner G, Uhlig T, Varju C, Vriezekolk JE, Welin E, Westhovens R, Stamm TA, Boström C
2023 EULAR classification criteria for hand osteoarthritis. Haugen IK, Felson DT, Abhishek A, Berenbaum F, Bierma-Zeinstra S, Dziedzic KS, Edwards JJ, Englund M, Hermann-Eriksen M, Herrero-Beaumont G, Hill C, Ishimori ML, Jonsson H, Karjalainen T, Leung YY, Maheu E, Mallen CD, Marshall M, Moe RH, Ramonda R, Ritschl V, Ritt MJ, Stamm TA, Szekanecz Z, van der Giesen F, van de Stadt LA, van der Meulen C, Wittoek R, Greibrokk E, Laheij H, Kloppenburg M
Antimicrobial Drug Penetration Is Enhanced by Lung Tissue Inflammation and Injury. Geilen J, Kainz M, Zapletal B, Naka A, Tichy J, Jäger W, Böhmdorfer M, Zeitlinger M, Schultz MJ, Stamm T, Ritschl V, Geleff S, Tschernko E
Life outcomes after paediatric kidney transplantation: a qualitative, biographical study in long-term survivors. Ritschl V, Stamm T, Selzer A, Boesendorfer A, Eibensteiner F, Kaltenegger L, Mosor E, Omara M, Vachuda N, Sperl L, Masel EK, Aufricht C, Boehm M
Translation and cultural adaptation of the COVID-19 Yorkshire Rehabilitation Scale into German. Sperl L, Stamm T, Mosor E, Ritschl V, Sivan M, Hoffmann K, Gantschnig B
Bone-Mimetic Osteon Microtopographies on Poly-ε-Caprolactone Enhance the Osteogenic Potential of Human Mesenchymal Stem Cells. Vostatek M., Verin E., Tamm M., Rothbauer M., Toegel S
The modulating role of uniaxial straining in the IL-1ß and TGF-ß mediated inflammatory response of human primary ligamentocytes. Heidenberger J., Hangel R., Reihs E.I., Strauss J., Liskova P., Alphonsus J., Brunner C., Döring K., Gerner I., Jenner F., Windhager R., Toegel S., Rothbauer M
New WHO ACPA standard enables standardisation among anti-CCP2 assays, but not other ACPA assays using different antigens. Van Hoovels L., Bakker-Jonges L.E., Vara D., Bijnens C., Studholme L., Sieghart D., Vander Cruyssen B., Verschueren P., Steiner G., Damoiseaux J.G.M.C, Bossuyt X
Amino Acids Fueling Fibroblast-Like Synoviocyte Activation and Arthritis By Regulating Chemokine Expression and Leukocyte Migration. Karonitsch T., Saferding V., Kieler M., von Dalwigk K., Tosevska A., Heller G., Dellinger M., Niederreiter B., Kartnig F., Steiner C.W., Georgel P., Kiener H.P., Smolen J.S., Korb-Pap A., Bonelli M., Aletaha D., Blüml S
Das Team
Die Erforschung neuer therapeutischer Ziele und Wirkstoffe ist für die Verbesserung der Behandlungsergebnisse von Arthritispatientinnen und Patienten ebenso wichtig wie die Stratifizierung in verschiedene Krankheits- und Therapieansprechtypen. Ein und dieselbe Therapie ist nicht für alle Patient:innen geeignet. Genau daran forschen wir in unserem Institut.
Leitung
Univ.-Prof. Dr. Tanja Stamm, PhD
Leiterin
Priv. Doz. Mag. Dr. Bibiane Steinecker-Frohnwieser
Stv. Leiterin