Stammzell-Fitness auf dem Prüfstand
LBI für Traumatologie, das Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVAAuf eine wirksame zellbasierte Therapie zur Regeneration von Knorpelgewebe hoffen etliche schmerzgeplagte Menschen. Dafür geeignete Stammzellen lassen sich als Eigenspende aus Körperfett gewinnen. Warum nicht jede adulte Stammzelle gleich regenerativ wirksam ist, hat Doktorandin Marlene Wahlmüller im Kooperationslabor des LBI für Traumatologie und der Blutzentrale Linz des Roten Kreuz OÖ untersucht. Weiters hat sie Methoden zur Verbesserung des therapeutischen Potenzials getestet.
Stammzellen stecken voller Möglichkeiten. Gerade weil sie noch nicht spezialisiert sind, können sie viel bewirken. Embryonale, sogenannte pluripotente Stammzellen können noch in alle Zellen des Körpers ausdifferenzieren. Adulte Stammzellen sind hingegen schon auf bestimmte Gewebetypen festgelegt und kümmern sich im erwachsenen Organismus um die Instandhaltung. In Knochenmark, Haut oder Fettgewebe angesiedelt, können sie Weichgewebe, Knochen oder Knorpel wieder aufbauen, überschießende Entzündungen hemmen und Heilungsprozesse unterstützen. Ohne diese zellulären Helfer, die eine unkomplizierte Wundheilung ermöglichen, wäre ein kleiner Schnitt in den Finger schon ein großes Problem.
Wegen ihrer besonderen Eigenschaften haben auch adulte Stammzellen ein hohes Potenzial für zellbasierte Therapien, etwa zur Unterstützung der Knorpelregeneration. Jedoch ist nicht jede gleich fit und der jeweilige Zustand der Zellen stark von ihren Spender:innen abhängig. Wenn Stammzellen aus einer Eigenspende bei Osteoarthritis in die Gelenkskapsel injiziert werden, füllen sie nicht wie ein spezialisierter Handwerkertrupp automatisch einen Knorpeldefekt auf. Dass Vorerkrankungen, das generelle Fitnesslevel und das Alter des Spenders bzw. der Spenderin das regenerative Potenzial adulter Stammzellen beeinflussen, ist bekannt. Wohl deshalb kamen klinische Studien zu dieser Behandlungsform bisher zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Gleichzeitig korreliert gerade die Gelenksabnützung häufig mit starkem Übergewicht oder fortgeschrittenem Alter. Es ist also naheliegend, dass genau hier Menschen ihre Hoffnungen auf eine zellbasierte Therapie richten.
Marlene Wahlmüller schloss 2024 ihre von der FFG geförderte Dissertation in einer industrienahen Kooperation des LBI für Traumatologie mit der MorphoMed GmbH ab. Betreut von LBI-Gruppenleiterin Susanne Wolbank, untersuchte die Molekularbiologin, welche Faktoren Einfluss auf das regenerative Potenzial haben und wie man es verbessern könnte. Susanne Wolbank, Leiterin der Forschungsgruppe Zelltherapie, zur Kooperation: „Forschung, wie wir sie betreiben, braucht den Konnex zu Kliniken oder Firmen. Die Gewebebank der Blutzentrale des Roten Kreuz Oberösterreich kann qualitätsgesichert und risikominimiert Zellprodukte herstellen.“
Bei einer Eigenspende sollen die körpereigenen regenerativen Zellen am besten direkt am gewünschten Einsatzort appliziert werden, ohne sie vorab im Labor zu kultivieren, weil sie zu stark verändert oder fehlgeleitet werden könnten: „Ich habe in den vergangenen Jahren getestet, wie wir vorab Aussagen zur Eignung gespendeter Stammzellen aus Fettgewebe treffen können und wie ihr regeneratives Potenzial verbessert werden kann“, erläutert Marlene Wahlmüller.
Körperfett ist relativ leicht zugänglich und in der sogenannten Stromalen Vaskulären Fraktion (SVF), der zellreichen Fraktion des Fettgewebes, sind adulte Stammzellen enthalten. Für ihre Forschung arbeitete Marlene Wahlmüller ausschließlich mit Probenmaterial aus abgesaugtem Fett, das sonst verworfen worden wäre. Das Einverständnis der Patient:innen wurde natürlich eingeholt. Jede Lebensgeschichte ist ein wenig anders, und so ist das Gewebe von Patient:innen verschiedenen akuten oder chronischen Erkrankungen, Einflüssen von Adipositas und Prozessen der biologischen Alterung ausgesetzt. Marlene Wahlmüller hat sich deshalb genauer angesehen, ob therapiewillige Personen für eine Eigenspende selbst gesund sein müssen, um hilfreiches Stammzell-Material zu erhalten.
Eine relativ häufige Erkrankung im Fettgewebe ist das Lipödem. Die chronische und schmerzhafte Erkrankung betrifft überwiegend Frauen und führt zu einer krankhaften Fettverteilung. Typischerweise sammelt es sich symmetrisch an Beinen, Armen und Hüften, oft begleitet von einem schweren Gefühl, Druckempfindlichkeit und einer Neigung zu blauen Flecken. Obwohl aktuellen Schätzungen zufolge bis zu zehn Prozent aller Frauen betroffen sind, wird die Erkrankung noch häufig missverstanden und verkannt. Viele bekommen statt einer Diagnose zunächst Ratschläge zum Abnehmen, jedoch greifen Sport und Diät hier nicht. Beim Lipödem gelangt Flüssigkeit ins Binde- und Stützgewebe, da Gefäße durchlässig sind. Die Fettabsaugung ist eine häufig gewählte Therapie. Die Forscher:innen konnten nun zeigen, dass schon im Frühstadium der Erkrankung die SVF von Lipödem-Patientinnen krankhafte Veränderungen an gesunden Gefäßzellen verursachen können. „Regenerative Zellen aus erkrankten Geweben für Therapien einzusetzen ist unseren Untersuchungen zufolge keine gute Idee“, erklärt Wahlmüller
Ebenfalls erforscht wurde der Einfluss seneszenter Zellen auf die Leistungsfähigkeit einer Stammzell-Spende. Kurz gesagt sind diese gealterten Zellen bereits etwas müde und verbreiten im Gewebe ‚schlechte Stimmung‛. Sie funktionieren nicht nur schlechter, sondern scheiden auch Entzündungssignale aus, die benachbarte Zellen beeinträchtigen können. Marlene Wahlmüller führte zunächst eine Analyse der Seneszenz-Parameter des Spendenmaterials durch. Dabei zeigte sich, dass bis zu 11 Prozent der Zellen darin Anzeichen für Alterungsprozesse aufwiesen. Mit dem Body-Mass-Index und dem Lebensalter der Spender:innen korreliert dieser Parameter interessanterweise nicht. Anschließend behandelte Marlene Wahlmüller einen Teil der SVF-Fraktion mit einem Medikament, das seneszente Zellen gezielt entfernt. In der Zellkulturschale prüfte sie, wie geschädigtes Knorpelgewebe auf den Stammzell-Cocktail mit und ohne Seneszenz reagiert. Vereinfacht gesagt war das regenerative Potenzial des Stammzell-Mixes ohne Seneszenz höher.
Auch das Knorpelmaterial für Forschungszwecke wurde übrigens von Menschen gespendet, die im Spital einen Gelenksersatz bekamen. Aus den Spenden stanzte Marlene Wahlmüller Knorpelscheiben aus – etwas kleiner als eine 1-Cent-Münze. Mit diesem ‚medizinischen Upcycling‛ konnte in der Zellkulturschale die Regeneration von osteoarthritischem Knorpel untersucht werden. Eine weitere Versuchsreihe griff den Schwerpunkt des Instituts auf biophysikalische Methoden auf. Versuchsweise unterzog die Jungforscherin regenerative Zellen aus Fettgewebe einer biophysikalischen Stimulation – in Kooperation mit der Fachhochschule OÖ, die eine passende Vorrichtung baute. Stammzellen, die so angeregt worden waren, zeigten tatsächlich eine höhere Funktionalität und Fitness. Klingt wie ein Wunder, ist aber Wissenschaft.
Mit ihren Ergebnissen identifizierte Marlene Wahlmüller wesentliche Ursachen für unterschiedliche Therapieerfolge und zeigte zugleich effektive Maßnahmen zur Verbesserung der regenerativen Leistung autologer Zelltherapien auf. Gruppenleiterin Susanne Wolbank: „Der Erfolg einer zellbasierten Behandlung ist bisher nicht verlässlich vorherzusagen. Nun wissen wir mehr darüber, wie sich Stammzellen in einer Eigenspende verhalten. Diese Forschungsarbeit wurde zurecht mehrfach auf wissenschaftlichen Kongressen ausgezeichnet.“
Highlights
Günther-Schlag-Preis für Annette Vaglio-Garro
Annette Vaglio-Garro, Doktorandin in der Gruppe von Andrey Kozlov, erhielt den renommierten Günther-Schlag-Abstract-Preis der Östereichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie ÖGU für ihre Forschung über die Rolle von Vitamin B1 bei der Behandlung von neuronalen Schäden nach traumatischen Hirnverletzungen.
Horizon Europe fördert BEATsepsis
Drei Viertel der Sepsis-Überlebenden entwickeln PICS – eine dauerhafte Störung von Entzündung, Immunabwehr und Stoffwechsel. Im Projekt BEATsepsis haben sich 11 Einrichtungen aus 6 europäischen Ländern zusammengeschlossen, um dieses Krankheitsbild und seine Langzeitfolgen besser zu verstehen. Das LBI Trauma leitet das Workpackage für Kommunikation und Patient:inneneinbindung.
„Heilende Explosionen“ in ORFIII-Doku
ORFIII widmete eine 45-minütige Dokumentation den heilenden Explosionen der Stoßwelle. Dass Österreich heut weltweit führend bei der Anwendung von Stoßwellentherapie in der Traumatologie ist, ist der Pionierarbeit von Wolfgang Schaden, klinischer Co-Leiter unserer Stoßwellforschung zu verdanken. Am Institut entschlüsseln wir nun die Wirkungsweise dieser Therapie auf zellulärer Ebene.
Starke Forschung, starker Standort – LBI Trauma am WKÖ-Event
Um den Stellenwert starker Forschung für Österreich hervorzuheben, lud die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) zur Konferenz „Starke Forschung, starker Standort“. Drei Bundesminister folgten der Einladung, sowie auch zahlreiche andere hochkarätige Gäste. Das LBI Trauma gestaltete eine der beiden „Experience Islands“, auf denen die Besucher:innen die Forschung hautnah erleben konnten.
ASEV-CzeSEV 2024: Wegbereiter für die Zukunft der EV-Forschung
Die ASEV-CzeSEV Jahrestagung bot Wissenschaftler:innen aus Österreich, Tschechien und darüber hinaus eine Plattform, sich über Extrazelluläre Vesikel (EVs) auszutauschen und Kooperationen in diesem wachsenden Forschungsfeld zu fördern. Gleich fünf Präsident:innen europäischer EV-Gesellschaften kamen zusammen, darunter unser Wolfgang Holnthoner als Präsident der Austrian Society for Extracellular Vesicles ASEV.
Ausgewählte Publikationen
Guidelines for minimal information on cellular senescence experimentation in vivo. . Ogrodnik M, Carlos Acosta J, Adams PD, d’Adda di Fagagna F, Baker DJ, Bishop CL, Chandra T, Collado M, Gil J, Gorgoulis V, Gruber F, Hara E, Jansen-Dürr P, Jurk D, Khosla S, Kirkland JL, Krizhanovsky V, Minamino T, Niedernhofer LJ, Passos JF, Ring NAR, Redl H, Robbins PD, Rodier F, Scharffetter-Kochanek K, Sedivy JM, Sikora E, Witwer K, von Zglinicki T, Yun MH, Grillari J, Demaria M (2024)
Artificial Intelligence in Traumatology. . Breu R, Avelar C, Bertalan Z, Grillari J, Redl H, Ljuhar R, Quadlbauer S, Hausner T (2024)
Cardiac shockwave therapy in addition to coronary bypass surgery improves myocardial function in ischaemic heart failure: the CAST-HF trial. . Holfeld J, Nägele F, Pölzl L, Engler C, Graber M, Hirsch J, Schmidt S, Mayr A, Troger F, Pamminger M, Theurl M, Schreinlechner M, Sappler N, Ruttmann-Ulmer E, Schaden W, Cooke JP, Ulmer H, Bauer A, Gollmann-Tepeköylü C, Grimm M (2024)
Hyperfibrinolysis: potential guidance for decision-making to avoid futile extracorporeal cardiopulmonary resuscitation. . Schöchl H, Zipperle J (2024)
Profiling the dysregulated immune response in sepsis: overcoming challenges to achieve the goal of precision medicine. . Cajander S, Kox M, Scicluna BP, Weigand MA, Mora R, Flohé SB, Martin-Loeches I, Lachmann G, Girardis M, Garcia-Salido A, Brunkhorst FM, Bauer M, Torres A, Cossarizza A, Monneret G, Cavaillon JM, Shankar-Hari M, Giamarellos-Bourboulis EJ, Winkler MS, Skirecki T, Osuchowski M, Rubio I, Bermejo-Martin JF, Schefold JC, Venet F (2024)
Das Team
Forschung, wie wir sie betreiben, braucht den Konnex zu Kliniken oder Firmen. Im Geweberegenerationscluster finden wir all das und zudem noch enge Vernetzung mit Forschenden in ganz Österreich. Wir teilen Wissen, Ressourcen und ein gemeinsames Ziel: eine bessere Behandlung unserer Patient:innen.
Leitung
Assoc. Prof. Dr. Johannes Grillari
Leiter
Prim. Priv.-Doz. Dr. Thomas Hausner
Stv. Leiter
Veronika Hruschka, PhD
Administrative Leitung