Eine Brücke zur Osteoporose-Früherkennung
LBI für OsteologieBereits 2020 wurde am Hanusch-Krankenhaus der erste Fracture Liaison Service (FLS) Österreichs eingeführt. Das zertifizierte Programm verknüpft die Behandlung eines Knochenbruchs bei stationären Patient:innen mit einer weiterführenden Abklärung der Osteoporose, die zumeist dahinter liegt. 2024 wurden Studien aufgesetzt, um auch ambulante Patient:innen mit einer Radiusfraktur zu erreichen und Zufallsbefunde in Computertomografien zu entdecken.
Die nach unten führenden Stufen einer Osteoporose-Karriere sind gut erforscht. Wenn sich eine Frau um die 60 den Unterarm – ohne weitere Komplikationen – bricht, sprechen Fachleute wie Roland Kocijan von einer „Indexfraktur“. Damit ist gemeint, dass die Radiusfraktur klar auf ein Osteoporose-Risiko hindeutet. Danach folgen Oberarmfrakturen und die heimtückischen Wirbelkörperbrüche, die sich nicht zwingend durch Schmerzen bemerkbar machen. Wenn das Becken und letztlich der dicke Oberschenkelknochen brechen, ist das Krankheitsgeschehen ziemlich sicher weit fortgeschritten: „Nach der Versorgung des Bruchs ist die weiterführende Therapie aber in jedem Krankheitsstadium sinnvoll und wirksam. Je früher wir Patient:innen mit dem Fracture Liaison Service sensibilisieren, diagnostizieren und behandeln können, desto besser“, betont Roland Kocijan, Internist am Hanusch-Krankenhaus, der am LBI für Osteologie die Programmlinie zur klinischen Forschung für Knochenerkrankungen leitet.
Oberschenkelhalsfrakturen machen zwar nur 20 Prozent aller Frakturen aus, aber die betroffenen Menschen verlieren rasant an Lebensqualität. Sie werden operiert, müssen lange im Krankenhaus bleiben, manche bleiben dauerhaft immobil und 20 bis 30 Prozent der Patient:innen sterben binnen eines Jahres. Zudem sind die Kosten für das Gesundheitssystem hoch. 550.000 Menschen in Österreich haben die Diagnose Osteoporose bereits, viermal mehr Frauen als Männer. 100.000 Frakturen werden jährlich aufgrund des chronischen Knochenschwunds in Österreich verzeichnet, aber an einer Sekundärversorgung hapert es. „Wir haben 2019 herausgefunden, dass bei uns nach einem osteoporotischen Knochenbruch, den wir anhand von Lebensalter und Art der Fraktur gut erkennen können, 80 Prozent der Menschen zwar eine exzellente chirurgische Versorgung bekommen, aber keine Therapie für die Krankheit dahinter. Wenn man diese Patient:innen erwischt, haben sie eine signifikant höhere Überlebensrate.“ Ohne Therapie ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis es zur Wiederaufnahme mit Komplikationen kommt, bei der vielleicht die Prothese herausgebrochen und der Knochen zertrümmert ist. Der zertifizierte Fracture Liaison Service sorgt seit 2020 dafür, dass Patient:innen mit Oberschenkelhalsfraktur noch im Hanusch-Krankenhaus entsprechend aufgeklärt und therapiert werden. Als erster FLS in Österreich bildet er die Brücke vom Bruch zur Behandlung der Pathologie im Hintergrund. In Ländern wie England, der Schweiz oder Spanien ist der FLS bereits gut etabliert. Die Therapie umfasst u.a. knochenspezifische Medikamente, die Gabe von Vitamin D, eine ausgewogene calcium- und proteinreiche Ernährung sowie Muskeltraining für den Knochenaufbau – Gartenarbeit und mit dem Hund gehen reichen hier nicht aus.
Für das FLS wurde eine IT-Lösung aufgesetzt, in der sämtliche stationären Patient:innen mit ihren Osteoporose-Risikofaktoren aufgenommen und pseudonymisiert in eine Datenbank überführt werden. Automatisch und semiautomatisch werden Informationen wie Alter, Geschlecht, Laborwerte, Anamnese, Knochendichte- und Röntgenbefunde, Co-Medikation etc. erfasst. Eine eigene FLS-Nurse klärt nach der Operation am Krankenhausbett mit einem strukturierten Fragebogen weitere Informationen ab, wie familiäre Risiken, Cortisongabe, Zahnstatus, Ernährung, Zigaretten- oder Alkoholkonsum. In der Regel ist das in 15 Minuten erledigt und „liefert wertvollen Input für wissenschaftliche Studien zu Therapietreue, Wiederaufnahmen und der Wirksamkeit von Interventionen. Wir konnten mit unseren Auswertungen zeigen, dass durch den FLS 75 Prozent der erfassten Hochrisikopatient:innen therapiert werden“, so Kocijan.
Was im stationären Setting funktioniert, soll auf Ambulanzen ausgeweitet werden, wobei es dafür international noch keine Blaupause gibt. Unterarmfrakturen als Anzeiger für Osteoporose treten ungefähr 20 Jahre früher auf. Wenn eine 60-jährige Frau stürzt und sich den Unterarm bricht, befindet sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit am Beginn einer Osteoporose-Karriere und hat noch eine hohe Lebenserwartung. In der Ambulanz wird aber nur der Knochenbruch repariert, die Frau bekommt einen Gips und wird entlassen. Aus diesem Grund hat das LBI für Osteologie mit dem Unfallkrankenhaus Meidling der AUVA, wo rund 600 Radiusfrakturen im Jahr gegipst werden, eine prospektive Studie aufgesetzt. Risikopersonen sollen zwecks Früherkennung sensibilisiert werden, ohne das Krankenhaus-Personal damit zu belasten. Experimentiert wird mit einer digitalen Lösung. Jede zweite behandelte Person bekommt dafür einen QR-Code auf den Gips geklebt: „Wir rechnen damit, dass die Patient:Innen nach einer gewissen Zeit den Code scannen. Dahinter finden sie entsprechende Video-Informationen in mehreren Sprachen, die wir eigens erstellt haben, darunter der Kontakt zu der FLS-Ambulanz.“ Die andere Hälfte der Patient:innen bekommt einen Flyer ausgehändigt, der darüber aufklärt, dass hinter ihrem Bruch eine Pathologie stecken kann, und empfiehlt, die FLS-Ambulanz zu kontaktieren. Die Studienteilnehmer:innen werden vorher aufgeklärt. Der QR-Code ist mit einer App verbunden, die auch ein einfaches Self-Assessment ermöglicht und einen Risikoscore auswirft.
In einer zweiten Studie betritt das Team des LBI für Osteologie ebenfalls Neuland bei der Osteoporose-Früherkennung. Es geht darum, Wirbelkörperfrakturen mittels künstlicher Intelligenz in Computertomografien aufzuspüren – unabhängig von der Indikation. Wirbelkörper brechen häufiger bei Menschen, die bereits eine Grunderkrankung haben. „Nach den osteoporotischen Knochenbrüchen wird dann aber in den Aufnahmen nicht explizit gesucht, sondern zum Beispiel nach einer Lungenerkrankung. Etwaige Frakturen sind im CT gut zu erkennen, wenn man den Fokus darauf legt. Das macht für uns eine zuverlässige KI aus Österreich.“ 2024 wurden umfangreiche Funktionstests durchgeführt. CT-Aufnahmen aus dem pulmologischen Fachbereich des Hanusch-Krankenhauses der Österreichischen Gesundheitskasse wurden unvoreingenommen von einem Algorithmus gescannt. Ergebnis: Jede:r dritte Lungenpatient:in hatte auch Wirbelkörperfrakturen. Und diese Menschen werden zukünftig automatisch in das FLS eingeschlossen.
Highlights
Houska-Preis 2025
Das Projekt „Optimierung des Fracture Liaison Service (FLS) in Österreich“ der Programmlinie „Clinical Science“ unter der Leitung von OA Assoc.-Prof. Priv.-Doz. DDr. Roland Kocijan erzielte den dritten Platz des Houska-Preises 2025 in der Kategorie außeruniversitäre Forschung, der mit € 20.000 dotiert ist. Der Houska-Preis ist der größte private Forschungspreis Österreichs.
SOMOK-Medaille
OA Assoc.-Prof. Priv.-Doz. DDr. Roland Kocijan wurde im Rahmen der jährlichen Konferenz die SOMOK-Medaille der slowakisch-tschechischen osteologischen Gesellschaft für die "Entwicklung der Medizin auf dem Gebiet der Osteoporose und Stoffwechselerkrankungen“ verliehen.
Nachwuchsforscher:innen im Labor in Meidling
Um Schüler:innen naturwissenschaftliches Forschen näher zu bringen, wurden nicht nur Vorträge in einer Schule in Krems gehalten, sondern auch Schüler:innen direkt in das Labor des LBI Osteologie in Meidling eingeladen.
Ausgewählte Publikationen
Proposed diagnostic criteria for the diagnosis of hypophosphatasia in children and adolescents: results from the HPP International Working Group.. Rush E, Brandi ML, Khan A, Ali DS, Al-Alwani H, Almonaei K, Alsarraf F, Bacrot S, Dahir KM, Dandurand K, Deal C, Ferrari SL, Giusti F, Guyatt G, Hatcher E, Ing SW, Javaid MK, Khan S, Kocijan R, Lewiecki EM, Linglart A, M'Hiri I, Marini F, Nunes ME, Rockman-Greenberg C, Roux C, Seefried L, Starling SR, Ward L, Yao L, Brignardello-Petersen R, Simmons JH 2024
Enzymatic and non-enzymatic collagen cross-links and fracture occurrence in type 1 diabetes patients. . Paschalis EP, Gamsjaeger S, Graeff-Armas LA, Bare S, Recker RR, Akhter M 2024
Normal bone matrix mineralization but altered growth plate morphology in the LmnaG609G/G609G mouse model of progeria. . Blouin S, Hartmann MA, Fratzl-Zelman N, Messmer P, Whisenant D, Erdos MR, Collins FS, Eriksson M, Strandgren C, Cabral WA, Dechat T 2024
Assessment of trabecular bone score using updated TBSTT in anorexia nervosa-The AN-BO study. . Haschka J, Behanova M, Hans D, Arens A, Muschitz C, Dzirlo L, Binder J, Kapiotis S, Zwerina J, Resch H, Kocijan R 2024
Epidemiological characteristics and impact of sepsis on survival after osteoporotic pelvic fracture in Austria.. Sokhan A, Haschka J, Reichardt B, Zwerina J, Kocijan R, Behanova M 2024
Das Team
The unique collaborative efforts of LBIO and OEGK make it possible, through the analysis of epidemiological nationwide data on osteoporosis-related fractures, to create a foundation for health-policy makers and clinicians to improve patient treatment strategies.
Leitung
Prim. Priv. Doz. Dr. Jochen Zwerina
Leiter