Ein neues Forschungsfeld entsteht:
Gründung des Ludwig Boltzmann Instituts für Netzwerkmedizin
LBI for Network Medicine at the University of ViennaDie stärksten Verbindungen sind oft unsichtbar – doch sie halten unser Leben zusammen. Die Forschung zeigt immer deutlicher, dass das Verständnis der Verbindungen zwischen den Komponenten eines Systems genauso wichtig ist wie die Kenntnis der einzelnen Bestandteile. Eine ganzheitliche Betrachtung des menschlichen Körpers kann helfen, komplexe Prozesse besser zu erfassen und innovative Ansätze für Diagnose und Therapie zu entwickeln.
Genau diesem Prinzip widmet sich das 2024 gegründete LBI für Netzwerkmedizin, das die Wechselwirkungen innerhalb komplexer biologischer Systeme erforscht. Krankheiten entstehen nicht isoliert, sondern als vielschichtige Störungen in einem fein abgestimmten Netzwerk aus Molekülen, Zellen, Geweben und Organen.
Unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Jörg Menche erforscht ein interdisziplinäres Team, wie komplexe biologische Prozesse miteinander verbunden sind – und wie Krankheiten diese Netzwerke beeinflussen. Expert:innen aus Physik, Mathematik, Biologie, Medizin, Computerwissenschaften und digitaler Kunst arbeiten hier zusammen.
Die Forschung am Institut ist in drei Programmlinien entlang dieser biologischen Hierarchie organisiert. Während eine Gruppe sich mit Molekularnetzwerken befasst, untersucht eine andere die Architektur von Geweben und die Interaktion von Organen. Eine dritte Forschungsgruppe analysiert Populationsdaten, um Krankheitsmuster auf gesellschaftlicher Ebene zu erkennen.
Ihr Ziel: ein umfassendes Verständnis der biologischen Vernetzung zu erlangen und darauf aufbauend innovative Ansätze für Diagnose, Therapie und Wissenschaftskommunikation zu entwickeln.
Ein Institut mit Wirkung: Entstehungsgeschichte des LBI für Netzwerkmedizin
Die Initiative des Vorhabens wurde maßgeblich vom Wunsch des Leiters Jörg Menche geprägt, Forschung über die Grenzen eines Lehrstuhls hinaus zu betreiben. Für ihn stellt das LBI für Netzwerkmedizin eine Gelegenheit dar, akademische Forschung auf neue, interdisziplinäre Weise zu gestalten und in verschiedene Richtungen zu wirken.
Auf eine intensive Arbeitsphase zur Erstellung des Projektantrags folgte die Einreichung, die schließlich mit einer Einladung zu einem Hearing belohnt wurde. Mit großer Freude konnte das Forschungsteam die Bewilligung des Projekts entgegennehmen und einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Umsetzung erreichen.
Mittlerweile ist das Institut an der alten Wirtschaftsuniversität in Wien angesiedelt und hat dort eine moderne Arbeitswelt geschaffen, in der Räume neu gedacht werden und dynamisches Arbeiten gelebt wird. Die Wahl fiel nicht zufällig auf den neuen Standort – Ziel war, die Nähe zu den wichtigsten Kooperationspartnern herzustellen, darunter das Allgemeine Krankenhaus (AKH) und die Medizinische Universität Wien.
Ein Gebäude, das Wissenschaft neu denkt
Das LBI für Netzwerkmedizin ist weit mehr als nur ein Forschungsgebäude – es ist ein Experimentierfeld für modernes Arbeiten und bietet Raum für herausragende Forschung. Von Anfang an stand für das Forschungsteam von Jörg Menche die Frage im Mittelpunkt: Wie wollen wir zusammenarbeiten?
In zahlreichen Brainstorming-Sessions wurden Ideen gesammelt, um Teamwork zu fördern und individuelle Arbeitsweisen zu berücksichtigen. Das Ergebnis ist eine Architektur, die sich den Bedürfnissen der Forschenden anpasst – mit Räumen, die nicht nur funktional sind, sondern auch Kreativität und Innovation fördern.
Wie kann Forschung effizient und kreativ gestaltet werden? Das Ergebnis ist ein Gebäude, das verschiedene Arbeitsmodi unterstützt und flexible Nutzungskonzepte ermöglicht:
Interaction Zone: ein Raum für Teamarbeit, Projektbesprechungen und den Austausch mit externen Partner:innen
Deep Work Zone: ein Bereich mit anpassbarer Architektur für konzentriertes, individuelles Arbeiten. Trennwände und durchdachte Raumstrukturen ermöglichen fokussiertes Arbeiten ohne Ablenkung.
Open Floor Plan: offene Räume mit großen Ideentafeln, die kreatives Denken und spontane Brainstorming-Sessions fördern
Media Kitchen: Hier wird Wissenschaft erlebbar: Mit VR-Brillen können Forschende tief in komplexe Datenwelten eintauchen – inklusive Green Screen.
Atelier: Schon zur Einweihung setzte das Institut ein künstlerisches Statement – ein Wandroboter schuf gemeinsam mit einem Künstler ein interaktives Kunstwerk.
Factory & klassische Büros: Neben all den innovativen Arbeitszonen gibt es auch klassische Büros und eine Factory für strukturiertes, alltägliches Arbeiten.
Interview mit Univ.-Prof. Dr. Jörg Menche, Leiter des LBI für Netzwerkmedizin
Julia Knichel: Gibt es eine konkrete Fragestellung, die als Leitmotiv für das Institut dient? Was ist Ihre persönliche Motivation, für das LBI für Netzwerkmedizin zu arbeiten?
Prof. Jörg Menche: Für mich ist das LBI für Netzwerkmedizin eine Möglichkeit, über die normale akademische Forschung, die man an einem Lehrstuhl realisiert, hinaus in verschiedene Richtungen zu wirken. Zunächst würden wir gerne unsere sehr grundlagenforschungsorientierte Arbeit nehmen und daraus eine echte Translation bauen – eine echte medizinische Anwendung, um in die Gesellschaft hineinzuwirken. Wir wollen die Gesellschaft mit in unser Institut holen. Diese Gestaltungsmöglichkeiten sind mit einer normalen Professur nur schwer möglich.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Ludwig Boltzmann Gesellschaft mit ihrem Open-Innovation-in-Science-Ansatz gezielt danach sucht, wie gesellschaftliche Akteure – in unserem Fall insbesondere Patient:innenvereinigungen – aktiv in die Forschung eingebunden werden können. Diese partizipative Herangehensweise ist ein zentraler Bestandteil des Auftrags der Ludwig Boltzmann Institute.
Am LBI für Netzwerkmedizin nutzen Sie künstliche Intelligenz (KI). Wie kann KI als Teil des Forschungsprozesses sinnvoll eingesetzt werden?
Wir wollen verstehen, wie die komplexen Netzwerke auf molekularer Ebene die Zellfunktion bestimmen. In jeder Zelle gibt es rund 20.000 Gene oder Proteine, die miteinander interagieren – ähnlich wie Legosteine, die sich zu molekularen Maschinen zusammensetzen und bestimmte Aufgaben übernehmen.
Unser Ansatz mit Virtual Reality ermöglicht es, diese Netzwerke räumlich zu betrachten – anstatt nur Punkte und Linien zu sehen, können wir uns mitten in der Struktur bewegen.
Wie genau kann diese Technologie Ärztinnen und Ärzte dabei unterstützen, vielleicht auch Patientinnen und Patienten besser zu erklären?
In einem nächsten Schritt wollen wir nicht nur beobachten, sondern auch interaktiv mit den Daten arbeiten, etwa um gezielt Mutationen in den Genen einer Patientin oder eines Patienten zu visualisieren. Zum jetzigen Zeitpunkt wird künstliche Intelligenz also für uns Forschende verwendet, in der Zukunft könnte man diese Plattform auch in eine Richtung entwickeln, wo sie tatsächlich auch für Ärztinnen und Ärzte nutzbar ist.
Was wäre für Sie persönlich der größte Erfolg des Instituts?
Ich würde gerne an beiden Enden dieses Forschungs- und Anwendungsspektrums etwas erreichen. Ich würde gerne ganz grundsätzlich verstehen, wie der menschliche Körper funktioniert. Und am anderen Ende des Spektrums würde ich gerne eine konkrete medizinische Anwendung ableiten. Unsere Ambition ist, an verschiedenen Fronten zu arbeiten. Zum Beispiel, indem wir Erkrankungen präziser diagnostizieren oder bestehende Medikamente für neue Anwendungen nutzbar machen – ein Bereich, der als Drug Repurposing bekannt ist. Dabei werden bereits zugelassene und erprobte Medikamente untersucht, um herauszufinden, ob sie auch bei anderen Erkrankungen wirksam sein könnten. Mein Ziel ist es, dass unsere Grundlagenforschung nicht nur theoretische Erkenntnisse liefert, sondern eine konkrete Anwendung findet – und letztendlich den Patient:innen zugutekommt.
Highlights
Das Ludwig-Boltzmann-Institut für Netzmedizin ist eröffnet!
Wir durften die offizielle Eröffnung des LBI-NetMed mit einer wunderbaren Einweihungsparty feiern. Mehr als 200 Freunde, Kollegen und Partner schlossen sich uns an diesem besonderen Anlass an, was es zu einem wirklich unvergesslichen Ereignis machte. Ein Höhepunkt des Abends war die Live-Kunst-Performance von Friedrich Bliem, der mit unserem KI-gesteuerten Wandbemalungsroboter zusammengearbeitet hat, um etwas wirklich Einzigartiges zu schaffen. Diese Verschmelzung menschlicher Kreativität und Maschinenintelligenz spiegelt perfekt die Bestrebungen unseres neuen Instituts wider.
Panel: Warum 3D? bei Human Reference Atlas 24-Stunden-Veranstaltung „Multiscale Human“
Christiane V.R. Hütter, Sebastian Pirch und Martin Chiettini aus unserer Virtual-Reality-Gruppe nahmen an einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Warum 3D?“ teil. Zusammen mit Timothy Davison und Moderator Andreas Bueckle vertieften sie sich in die Bedeutung von 3D-Technologien, um unser Verständnis von Daten und ihren Anwendungen in der virtuellen Realität zu fördern.
Das Team
Das Ludwig Boltzmann Institut für Netzwerkmedizin stellt für mich eine besondere Möglichkeit dar, über die klassische akademische Forschung hinaus interdisziplinär zu arbeiten und neue Impulse zu setzen.
Leitung
Jörg Menche
Leitung