Zeitmaschine Modernes Wien

LBI for Digital History

Wer eine Stadt kennenlernen will, muss sie erleben. Damit das auch mit Blick in die Vergangenheit gelingt, versucht sich das LBI for Digital History gemeinsam mit dem Österreichischen Filmmuseum und anderen Partnern im Rahmen des Projekts „Zeitmaschine Modernes Wien“ an einer historischen Tiefenerschließung der Stadt Wien mit digitalen Mitteln. Digitalisierte Filmmaterialien lassen sich durch innovative Bearbeitungssysteme neu erfahren und sollen der Öffentlichkeit frei zugänglich werden.

Operation Wien (1957): Die Stadt vor dem Verkehrsinfarkt
Operation Wien (1957): Die Stadt vor dem Verkehrsinfarkt

Die Geschichte der Stadt ist die Geschichte ihrer Räume und der Menschen, die in ihnen leben. Digitale Geschichte erschließt beide auf neuartige Weise. Film und andere audiovisuelle Medien sind in besonderer Form Teil dieser Geschichte und machen sie in eindringlicher Weise erfahrbar. Gleichzeitig ermöglicht das Medium Film raschen Perspektivenwechsel, den fließenden Übergang vom Privaten zum Öffentlichen, vom Persönlichen zum Allgemeinen, von Ereignissen unterschiedlicher Art. Mit dem Projekt „Zeitmaschine Modernes Wien“* bereitet das LBI for Digital History unter der Leitung von Historiker und Philosoph Ingo Zechner historisches Material von 1896 bis in die 1990er-Jahre mittels künstlicher und menschlicher Intelligenz so auf, dass es auf neue Weise erlebbar wird.

Dazu werden historische Filme, Videos, Fotos und Textdokumente datiert, georeferenziert, inhaltlich erschlossen und mit anderen Dokumenten verknüpft. Das Ergebnis ist eine Onlineplattform mit einer kuratierten Suchmaschine, die die Einbettung der Filmdokumente in ihre jeweiligen Räume und Zeitschichten erlaubt und die Darstellung nach unterschiedlichen inhaltlichen und formalen Kriterien ermöglicht.

Die Inhalte sind dabei Open Access, die Technologien Open Source, um Nutzer:innen freien Zugriff und selbstständiges Arbeiten zu ermöglichen. Dabei arbeitet Zechner mit seinem Team auf zwei Achsen: „Wir erschließen einerseits die Zeitachse – man kann sich also ansehen, wann genau was passiert ist. Andererseits machen wir durch Geotagging auch Orte anders erlebbar.“ Spaziert man also mit Tablet oder Handy durch die Stadt und möchte wissen, was an einem bestimmten Ort – wie etwa vor der Oper – im Laufe der Zeit passiert ist, kann man mit wenigen Klicks auf Inhalte zugreifen, die die Oper und ihre Umgebung an unterschiedlichen Stellen auf der Zeitachse darstellen. Die Entwicklung des Stadtverkehrs, Demonstrationen, politische Happenings – wichtige Punkte im Stadtbild werden auf digitalisiertem Weg auch historisch neuartig erschlossen.

Aber auch digitale Workspaces stellt die Plattform zur Verfügung. Wer sich für ein bestimmtes Jahrzehnt interessiert oder für ein Thema wie Mode, kann gezielt danach suchen und eigene Datensammlungen anlegen. Möglich machen das innovative Systeme, die in Projekten des LBI for Digital History entwickelt wurden und – teils automatisiert, teils manuell – Orte von Interesse in unterschiedlichen Filmen erkennen und taggen, also markieren. „Alles, was den Tag ‚Oper‘ oder ‚Heldenplatz‘ trägt, wird den Nutzer:innen dann digital angeboten, und das immer in Zusammenhang mit weiteren Informationen, um eine historische und gesellschaftspolitische Einordnung zu ermöglichen“, erklärt Zechner. Nicht immer ist die künstliche Intelligenz dabei hilfreich. Denn KI lernt meist durch aktuelle Inhalte. Historische Inhalte mit ihr digital zu erschließen, stellt die Forscher:innen vor Herausforderungen. Aus einem Straßenbahnfenster der 1930er-Jahre wird da in der automatischen Objekterkennung auch schon einmal ein Mikrowellenherd.

Im Herbst 2025 soll die Plattform der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und sowohl als Inspiration für den Unterricht in Schulen, für neue Forschungsprojekte oder schlichtweg als neuer Zugang zur Stadtentdeckung dienen.

Eine erste Auswahl von 200 Amateurfilmen wurde in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Filmmuseum, einem langjährigen Partner des LBI for Digital History, digitalisiert und aufbereitet. Dass es sich dabei um private und in historischem Kontext nicht immer relevant scheinende Einblicke handelt, findet Zechner besonders spannend. Denn die Filme beinhalten wertvolle Informationen auf einer anderen Ebene: Geschichte wirkt weniger entrückt und durch die Anteilnahme der Filmenden dabei persönlicher und nahbarer. Dadurch entwickeln die Filme auf Nutzer:innen eine andere Wirkung als Dokumentarfilme oder professionell gefertigte Reportagen. Auch Werbefilme und kontrollierte Messages wie Informationsfilme der Stadt Wien offenbaren den jeweiligen Zeitgeist und zeigen eine Stadt in kontinuierlicher Bewegung und Veränderung.

Eine wichtige Rolle in diesem Projekt spielt die Stadt Wien, die nicht nur finanziell unterstützt, sondern auch digitalisierte Filme aus eigenen Beständen sowie ihre umfangreichen digitalen Services zur Verfügung stellt, die die „Zeitmaschine Modernes Wien“ als Linked Open Data nutzen kann, darunter Geodaten und das Wien Geschichte Wiki. Darin sieht Zechner auch die Zukunft der Kollaboration: „Es wird Zeit, dass wir Wissen und Plattformen gemeinsam nutzen und gemeinschaftlich verbessern. Das bringt mehr, als wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und Daten an unterschiedlichen Orten in unterschiedlichen Qualitäten zur Verfügung stellt.“

*Zeitmaschine moderndes Wien verwendet das Medium Film, um die Geschichte Wiens in der Moderne von 1896 bis in die 1990er-Jahre in neuartiger Weise an ein interessiertes Publikum zu bringen. Dabei ist Film nur das erste von mehreren möglichen Medien, die mit der Zeit in einer umfangreichen Vienna Time Machine erschlossen werden sollen. Time Machine ist ein Projekt, dessen Konzept vor Jahren von der EU-Kommission gefördert, dann aber nicht verwirklicht wurde. Institute in Städten wie Wien oder Budapest arbeiten nun daran, lokale Time Machines umzusetzen.

 

Highlights

Research Library Podcast: Grundeinheiten in der Digital History

Für den Podcast der Universitätsbibliothek Wien diskutierte Ingo Zechner mit Martin Gasteiner.

Holocaust Remembrance Day 2023: Digitales Kuratieren | TUtheSky

Das Projekt "Visual History of the Holocaust: Rethinking Curation in the Digital Age (VHH)" präsentierte am Holocaust Remembrance Day für geladene Gäste eine Vorschau auf die Ergebnisse seiner vierjährigen Forschungsarbeit.

BTWH-Konferenz 2023 | Harvard: The Emergence of Posthumanism around 1900: Environment, Technology, Imagination

Die 24. Jahrestagung des vom LBIDH unterstützten internationalen Forschungsnetzwerks BTWH (Berkeley/Tübingen/Wien/Harvard) widmete sich an der Harvard University den Anfängen posthumaner Konzepte um 1900 und damit den Voraussetzungen für den aktuellen Diskurs über Humanismus, Transhumanismus und Posthumanismus.

Abschluss des Projekts „Praktiken des Lehr- und Unterrichtsfilms in Österreich“

Das Projektteam präsentierte seine Forschungsergebnisse in Vorträgen und Screenings und stellte die neue Plattform lehrfilmpraktiken.at vor.

Ausgewählte Publikationen

Verhandlungen von Geschlecht und Sexualität in visuellen Kulturen der 1920er- und 1930er-Jahre. Christina Wieder, Marie-Noëlle Yazdanpanah, Heidrun Zettelbauer (Hg.)

zeitgeschichte 2023, 50/1, Wien: V&R unipress, 2023

Educational Film Practices (special issue). Katrin Pilz, Joachim Schätz (Hg.)

Research in Film and History, 5/1, Bremen: Universität Bremen, 2023

Methoden der Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Stefan Hulfeld, Joachim Schätz, Andrea Seier (Hg.)

TFMJ – Journal for Theater, Film and Media Studies, 1/3–4, Wien: Böhlau Verlag, 2023

The Educational Dispositif. Marie-Noëlle Yazdanpanah, Nico de Klerk (Hg.)

TMG. Journal for Media History, 26/1, Hilversum: Sound&Vision, 2023

Das Team

In einer kompetitiven Forschungslandschaft mit begrenzten Fördermitteln bietet das LBIDH den Raum für die Entwicklung innovativer Ideen in internationalen und interdisziplinären Forschungsnetzwerken. Das intellektuelle Umfeld des Instituts und der professionelle Support der LBG sind sehr gute Bedingungen für eine solide Forschungspraxis.

Wissenschaftlicher MitarbeiterMag. Heinz Berger

Leitung

Mag. Dr. Ingo Zechner

Leiter

1
Postdocs
7
PhD-Student:innen/Dissertant:innen
3
Wissenschaftliches Forschungspersonal
2
Administratives Personal

Partner

Technische Universität Wien (AT)
Österreichisches Filmmuseum (AT)
Universität Bremen (DE)
Stand: Mai 2024

Wissenschaftlicher Beirat

Prof. Dr. Giovanna FossatiUniversity of Amsterdam (NL)
Michael Haley GoldmanNew Hampshire Humanities (US)
Prof. Dr. Andreas MaierFriedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (DE)
Stand: Mai 2024

Wir nutzen Cookies zur Webanalyse.
Informationen zum Datenschutz

ablehnen
einwilligen