Eine Vitaminspritze gegen Nervenschäden

LBI für Traumatologie, das Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA

Bei einem Schädel-Hirn-Trauma ist die Verletzung des Hirngewebes an der betreffenden Stelle nur der Anfang. Um benachbartes Gehirngewebe zu schützen, darf den Mitochondrien nicht die Puste ausgehen. Andrey V. Kozlov und sein Team haben Funktionszusammenhänge und Schädigungsmuster schrittweise aufgeklärt, um einen Therapieansatz abzuleiten.

Verbundenheit, schon auf kleinster Ebene. Die Interaktion von Neuronen und Astrozyten ist beispielhaft für die unglaubliche Vernetztheit und Komplexität unseres Körpers. Für ihr Foto "Meeting by Synapsis" gewann Annette Vaglio Garro aus der Gruppe von Dr. Kozlov den Science Art Award der Young Scientists Association MedUni Wien.

Jede Nervenzelle im Gehirn ist kostbar, denn sie regenerieren sich im Erwachsenenalter nicht mehr. Der Schlaganfall ist Ursache Nummer eins für eine Schädigung des Gehirns, einen Ausfall in der Kommandozentrale, in Europa wie den USA. Schon auf Platz zwei folgt das Schädel-Hirn-Trauma, verursacht meist durch Stürze oder Unfälle. Wenn der Kopf heftig aufschlägt, kommt es zu einer physikalischen Schädigung von Hirngewebe. Die Hirnfunktion kann vorübergehend oder dauerhaft einschränkt sein. Je nach betroffenem Areal sind daraufhin Wahrnehmung, Funktionen oder Bewegungen der Patient:innen eingeschränkt. Auf den weiteren Plätzen folgen Krankheiten wie Alzheimer, Epilepsie, Parkinson und so fort. Während sich all diese Krankheitsbilder auf der Makroebene ganz unterschiedlich äußern, ähneln sie sich auf der Mikroebene in erstaunlicher Weise.

Andrey V. Kozlov, langjähriger Leiter der Arbeitsgruppe Organversagen am LBI für Traumatologie, das Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA, dringt mit seinem Forschungsteam bis auf die Zellebene vor. Aus diesem Blickwinkel wird ein ganzes Spektrum an neuronalen Störungen durch immer gleiche pathologische Prozesse verursacht: „Wir versuchen auf zellulärer Ebene herauszufinden, wie wir durch die Aufklärung der pathologischen Mechanismen die Behandlung von Schädel-Hirn-Traumata vorantreiben können.“ In den vergangenen 15 Jahren wurden am LBI Trauma in Kooperation mit Forschungsteams in Österreich (Med Uni Graz, MedUni Wien, Vetmeduni) und weltweit (USA, Ungarn, Russland) Funktionszusammenhänge und Schädigungsmuster aufgeklärt. 2023 wurden sie zu einem vielversprechenden Therapieansatz kondensiert. Hochdosiertes Vitamin B1 könnte das Leben von Patient:innen nach einem Schädel-Hirn-Trauma verbessern.

Kozlov steht kurz vor der Pensionierung und übergibt seine Aufgaben nach und nach an sein bewährtes Team. Der Mediziner und Biophysiker war jahrelang federführend an Forschungen zum Schädel-Hirn-Trauma beteiligt und führt im Zeitraffer durch die Erkenntnisse. In Echtzeit wurden die experimentellen Ergebnisse ab 2010 schrittweise zusammengetragen und verdichtet.

Was passiert auf der Mikroebene, wenn Gehirngewebe durch einen heftigen Aufprall geschädigt wird? In Nervengewebe von Patient:innen wurden drei Schadprozesse identifiziert. „Wir konnten eine Entzündung, viel freies Glutamat und eine Störung der Mitochondrienfunktion festmachen und wissen heute, dass sie wechselwirken und eine Kettenreaktion bilden“, so Kozlov. Wenn diese nicht abgestoppt wird, kommt es zum Dominoeffekt im Gehirn. Die verletzten Nervenzellen reißen durch Freisetzung von aktiven biologischen Substanzen (sogenannte damage-associated molecular pattern oder DAMP) und Nerven-Botenstoffen, wie Glutamat, weitere Nervenzellen mit in den Abgrund. Körperliche, psychische und mentale Defizite werden also nicht allein durch die traumatische Verletzung des Gehirngewebes verursacht.

Die Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle und bilden Energie in Form von ATP. In unserem Körper gehören die Nervenzellen zu den Schwerstarbeitern mit hohem Energieverbrauch. Im Nervengewebe muss verbrauchtes ATP in den Mitochondrien also laufend nachgebildet werden. Erster Schritt in der fatalen Kettenreaktion nach einem Schädel-Hirn-Trauma ist eine Entzündung, ausgelöst durch DAMP. Dabei bildet sich Stickstoffmonoxid. Kozlov hat mit seinem Team entdeckt, dass das Gas die Aktivität des Enzym-Komplexes OGDHC im Gehirn hemmt, die zweite Stufe der Kettenreaktion. Die „2-Oxoglutarat-Dehydrogenase“, kurz OGDHC, ist an der Atmungskettenfunktion beteiligt und an der Reizweiterleitung zwischen den Nervenzellen. Zunächst glaubte das Forschungsteam, dass die Hemmung des OGDHC einen ATP-Mangel auslösen würde. Doch das war nicht der Grund für das Absterben der Nervenzellen. Vielmehr wird der Glutamat-Metabolismus im Gehirn gestört – die dritte Stufe der Kettenreaktion.

Glutamat hat in Nervenzellen zwei wesentliche Funktionen: als Botenstoff und Energiequelle. Es wird deshalb innerhalb der Neuronen in hoher Konzentration gelagert. Bei der Reizweiterleitung wird es in den synaptischen Spalt entlassen, wo die Rezeptoren gegenüberliegender Zellen darauf reagieren und den Impuls weitergeben. Das freigesetzte Glutamat muss rasch wieder eingesammelt werden, damit es nicht zu einer ‚Übererregung‘ kommt. Wenn nun durch ein Schädel-Hirn-Trauma viele Zellen zerstört werden, steigt der Glutamatspiegel auch außerhalb des synaptischen Spaltes dramatisch an. Das aktiviert die benachbarten Nervenzellen und diese pumpen und feuern, bis ihnen die Energie ausgeht. Sie sterben ab und noch mehr Nervengewebe wird zerstört.

In der sensiblen Gehirnchemie spielt OGDHC eine zentrale Rolle. Normalerweise wird durch OGDHC Glutamat in den Mitochondrien für die ATP-Synthese verbraucht, was den Spiegel reduziert. Ist nun die Aktivität des OGDHC gehemmt, kann Glutamat nicht mehr abgebaut werden und die erhöhten Mengen des Botenstoffes schädigen die Nervenzellen.

In Tiermodellen und in Zellkulturen wurde die Störung des Enzyms OGDHC gezielt unter die Lupe genommen. Das Forschungsteam konnte zeigen, dass die Verabreichung von Vitamin B1 (Thiamin) – als Kofaktor ein wichtiger Mitarbeiter des OGHDC – die Aktivität des Enzymkomplexes wiederherstellen und damit die Schäden in den Mitochondrien aufheben kann. Weitere Studien sollen nun die klinische Relevanz einer Behandlung mit Vitamin B1 überprüfen und das therapeutische Potenzial abschätzen helfen. Kozlov ist zuversichtlich, zumal hochdosiertes Vitamin B1 bereits bei Patient:innen mit Wernicke-Korsakoff-Syndrom eingesetzt wurde und sich als gänzlich ungiftig erwies. Diese Erkenntnisse berühren die bewährte Erstversorgung von Schädel-Hirn-Traumata im Krankenhaus nicht. Aber nach der akuten Phase könnte der neue Ansatz mit Vitamin B1 die Erhaltung wichtiger Gehirnfunktionen fördern.

Highlights

LBI Trauma SciComm Award

Die eigene Forschung für Laien verständlich kommunizieren zu können – darum ging es beim Science Communication Wettbewerb im Vorfeld unseres Retreats. Master- und PhD-Students verfassten ansprechende und oft auch durchaus humorvolle Artikel, die in Form einer Zeitung den Retreat erheiterten. Alle Einreichungen wurden von einer Jury außerhalb der „Wissenschafts-Blase“ bewertet und die besten Beiträge ausgezeichnet.

futurezone Award für Bioreaktor

Der futurezone Award 2023 in der Kategorie Health Tech ging an die Erfinder:innen des MagneTissue-Bioreaktors, darunter David Hercher, Leiter unserer Neuroregenerationsforschung. Der Bioreaktor ermöglicht die Herstellung hochwertiger künstlicher Nerventransplantate, indem er den natürlichen Heilungsprozess im Körper nachahmt - eine weitere Frucht in der langjährigen Zusammenarbeit und guten Nachbarschaft zwischen dem LBI Trauma und der FH Technikum Wien.

Jubiläumsevent im Winterwunderland

Bereits zum 10. Mal durften wir die Winterschool der “Tissue Engineering and Regenerative Medicine International Society”, kurz TERMIS veranstalten. Die Veranstaltung fand 2023 besonders großen Anklang, sodass wir schon vorzeitig die Registrierung schließen mussten, um den Mitmachcharakter zu erhalten. Die glücklichen Teilnehmer:innen erwarteten Vorträge und Workshops mit den Top-Wissenschaftler:innen der Geweberegeneration.

Ausgewählte Publikationen

Point-of-care, goal-directed management of bleeding in trauma patients. Zipperle J, Schmitt FCF, Schöchl H

Curr Opin Crit Care. 2023 Dec 1;29(6):702-712

Senopathies - Diseases Associated with Cellular Senescence. Lushchak O, Schosserer M, Grillari J

Biomolecules. 2023 Jun 8;13(6):966

Oxoglutarate dehydrogenase complex controls glutamate-mediated neuronal death. Weidinger A, Milivojev N, Hosmann A, Duvigneau JC, Szabo C, Törö G, Rauter L, Vaglio-Garro A, Mkrtchyan GV, Trofimova L, Sharipov RR, Surin AM, Krasilnikova IA, Pinelis VG, Tretter L, Moldzio R, Bayır H, Kagan VE, Bunik VI, Kozlov AV

Redox Biol. 2023 Jun;62:102669

A comparative high-resolution physicochemical analysis of commercially available fibrin sealants: Impact of sealant osmolality on biological performance. Reichsöllner R, Heher P, Hartmann J, Manhartseder S, Singh R, Heinz Gulle H, Paul Slezak P

J Biomed Mater Res A. 2023 Apr;111(4):488-501

Ischemia Impaired Wound Healing Model in the Rat—Demonstrating Its Ability to Test Proangiogenic Factors. Hofmann AT, Slezak P, Neumann S, Ferguson J, Redl H, Mittermayr R

Biomedicines. 2023 Apr; 11(4): 1043

Wavelength-Dependent Effects of Photobiomodulation for Wound Care in Diabetic Wounds. Dungel P, Sutalo S, Slezak C, Keibl C, Schädl B, Schnidar H, Metzger M, Meixner B, Hartmann J, Oesterreicher J, Redl H, Slezak P

Int J Mol Sci. 2023 Mar 20;24(6):5895

Das Team

Eines der Mosaiksteinchen zu sein, in diesem Gesamtkunstwerk aus interdisziplinärer Kooperation, der Kreativität junger Wissenschaftler:innen und erfahrener Forscher:innen, der Neugier und dem oft bedingungslosen Durchhaltevermögen, motiviert mich immer wieder aufs neue und versöhnt mich mit an den Stunden, die ich oft eingedeckt in Bürokratie zubringe. Mein größter Erfolg: zu sehen, wie die Therapie bei den Menschen in der Klinik ankommt und funktioniert.

Leiterin des CCSRM (Clinical Center for Studies in Regenerative Medicine)Mag. Ortrun Neuper

Leitung

Assoc. Prof. Dr. Johannes Grillari

Leiter

Prim. Priv.-Doz. Dr. Thomas Hausner

Stv. Leiter

15
Key-Researcher:innen
3
Postdocs
18
PhD-Student:innen/Dissertant:innen
23
Diplomand:innen/Masterstudent:innen
4
Bachelorstudent:innen
15
Wissenschaftliche Fachkräfte
7
Wissenschaftliches Forschungspersonal
11
Administratives Personal
6
Sonstiges Personal

Partner

Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AT)
Stand: Mai 2024

Wissenschaftlicher Beirat

Prof. Markus Huber-LangUniversitätsklinikum Ulm (DE)
Prof. Ingo MarziUniversität Frankfurt (DE)
Prof. Gerjo van OschErasmus University Medical Center (NL)
Stand: Mai 2024

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