Betroffene zu Reha-Expert:innen machen

LBI for Rehabilitation Research

Ob Sturz oder Unfall, Operation, Schmerzen, Gelenkersatz, akute oder chronische Erkrankungen – viele Wege führen in die Rehaklinik, um Mobilität, Funktion und Lebensqualität zu verbessern. Umso wichtiger ist es, dass die orthopädische Rehabilitation auch greift. Im Rehabilitationszentrum Kitzbühel wurden Betroffene als Fachleute für den Therapieerfolg befragt.

Alles beginnt mit Kaffee, Kuchen und einem offenen Ohr. Eigentlich sechs offenen Ohren, denn Chiara Vetrano, Projektmanagerin der Studie zu kritischen Erfolgsfaktoren in der orthopädischen Rehabilitation am LBI for Rehabilitation Research, arbeitet bei den Gesprächsrunden mit einer Diätologin und einer Psychologin des Rehabilitationszentrums Kitzbühel zusammen. Unterstützt vom Open Innovation in Science Center der Ludwig Boltzmann Gesellschaft wurde ein Mixed-Methods-Untersuchungsdesign entwickelt, das Betroffene zu Beteiligten an der Rehabilitationsforschung macht. In Kooperation mit dem Rehazentrum in Kitzbühel wurden rund 40 Freiwillige als Fachleute befragt. Zu Wort kamen sowohl Kliniker:innen (z.B. Ärzte/Ärztinnen, Psycholog:innen, Ergotherapeut:innen, Diätolog:innen und Physiotherapeut:innen) als auch Patient:innen, die echte Fälle mit unterschiedlichem Rehabilitationserfolg analysierten und dabei auch aus eigenen Erfahrungen schöpften.

Viele Wege führen in die orthopädische Rehabilitation. Das Spektrum ist so breit, dass theoretisch jede und jeder von uns irgendwann eine benötigt. In der Rehaklinik in Kitzbühel werden Abnutzungserscheinungen oder ein Gelenkersatz an Hüfte oder Knie, Wirbelsäulenprobleme, Sportverletzungen, Unfälle, Schmerzen, Operationsfolgen sowie akute und chronische Krankheitssymptome therapiert. Die orthopädische Rehabilitation vereint Angebote aus Physiotherapie, physikalischer Therapie, Ergotherapie, Ernährungsberatung, Pflege, Orthopädietechnik, psychologischer Beratung und Training. Zur Erfassung und Beurteilung des Rehabilitationsverlaufs bzw. -erfolgs gibt es verschiedene, objektivierbare und wissenschaftlich fundierte Outcome Assessments.

 

 

Im Rehazentrum Kitzbühel wird der Rehabilitationsverlauf standardisiert zu Beginn und am Ende des Aufenthalts erfasst. Hierbei werden die Patient:innen-Perspektive mit PROMs (Patient Reported Outcome Measures) und die Kliniker:innen-Perspektive mit CROMs (Clinician Reported Outcome Measures) unterschieden. Erhoben werden für einen Rehabilitationsverlauf relevante Faktoren, wie Schmerz, Lebensqualität, Mobilität oder Selbstständigkeit. Dass Menschen keine Maschinen sind, zeigt sich daran, dass nicht alle gleich gut au die Therapien ansprechen: „Es gibt Fälle, in denen die Ärzte und Ärztinnen eine Verbesserung der CROMs – beispielsweise bei der Mobilität – verzeichnen, die Patient:innen parallel jedoch nicht von Schmerzlinderung berichten. Auch umgekehrt ist es möglich, dass Patient:innen in den PROMs subjektiv eine Verbesserung bemerken, aber z.B. der 10-Meter-Gehtest kaum Verbesserungen zeigt. Gerade diese diskrepanten Fälle halten wir für unsere Suche nach kritischen Erfolgsfaktoren für wichtig“, berichtet die angehende Psychologin Vetrano.

Um kritische Erfolgsfaktoren für eine gelungene Rehabilitation zu identifizieren, erweiterte das Forschungsteam den Blickwinkel mit einem partizipativen, offenen Ansatz im Rahmen von Open Innovation in Science (OIS). Im Vorfeld wurden Krankenakten von ehemaligen Reha-Patient:innen der Klinik in Kitzbühel sorgfältig ausgewählt und anonymisiert. Die Fälle repräsentierten eine gewisse Bandbreite hinsichtlich der Gründe für die orthopädische Rehabilitation und beim Therapie-Erfolg. Die Akten wurden von Freiwilligen analysiert. Aus dem Behandlungsteam der Rehaklinik Kitzbühel wurde eine interdisziplinäre Gruppe rekrutiert. Wer Lust hatte, konnte sich an der Forschung beteiligen und bekam dafür eine Aufwandsentschädigung. Zudem wurden drei Gruppen von Patient:innen während ihres Aufenthalts engagiert.

Die forschenden Patient:innen nahmen sich dafür selbstständig und in Gruppen Zeit. Es fanden dabei drei moderierte Gruppentreffen statt, in jeder Woche des Reha-Aufenthalts eines. In der ersten Runde ging es um ihre Selbsteinschätzung und darum, mit offenen Fragen jeweils ein Set von sechs Patient:innenakten zu explorieren. Zum nächsten Termin machten die Patient:innen Vorschläge für Faktoren, die einen guten Reha-Verlauf befördern könnten. In der Gruppe wurden mögliche kritische Erfolgsfaktoren (critical success factors; CSFs) gesammelt und in einem standardisierten Fragebogen zusammengefasst. Daraufhin bearbeiteten die Freiwilligen ihre sechs Akten noch einmal und beurteilten anhand des Fragebogens die Bedeutung der zuvor gesammelten Erfolgsfaktoren für diese Fälle. Auf diese Weise wurden insgesamt 16 anonymisierte Fälle durch die Gruppen rotiert und von mehreren Forschenden mehrfach untersucht. In der letzten Woche wurden mit den Patient:innen die Studie sowie der eigene Rehabilitationsaufenthalt nachbesprochen. Für das Klinikteam wurden Abschlussgespräche bei Bedarf angeboten. Nach der Rückkehr in den Alltag füllten die Patient:innen noch eine Onlinebefragung aus. Darin wurde die eigene Reha-Erfahrung – mit etwas Abstand und anhand der kritischen Erfolgsfaktoren aus allen drei Gruppen – bewertet.

Die Vernetzung und die aktive Teilhabe an der Forschung seien sehr gut angekommen, freut sich Chiara Vetrano. Im ersten Quartal 2024 werden die komplexen qualitativen und quantitativen Datenstränge der Befragungen fertig ausgewertet sein. Weil das Studien-Design explorativ war, ist das Ergebnis noch kein Set von geprüften Erfolgsfaktoren, die gleich in der Praxis umgesetzt werden können. Eine erste qualitative Auswertung der Patient:innenseite identifizierte die Herkunft der Informationen (Berichte von Patient:innen, Outcome Assessments und Berichte der Kliniker:innen), die Erwartungen an die eigene Rehabilitation (Schmerzreduktion, Mobilität, Motivation finden, psychisches Wohlbefinden etc.) sowie Rehabilitationsergebnisse (Schmerz, Zielerreichung, Mobilität, Unabhängigkeit) als interessant für die vertiefte Auswertung. Als Einflussfaktoren wurden im Abgleich mit einer ersten quantitativen Datenanalyse ein individualisiertes Therapieprogramm, Engagement und eigenes Training, allgemeine Gesundheit und Fitness oder Motivation häufig genannt.

Um individuellen Bedürfnissen von Patient:innen besser gerecht zu werden wie auch Behandlungswege zu optimieren, bietet die Suche nach kritischen Erfolgsfaktoren (CSFs) einen vielversprechenden Ansatz. In Zukunft könnten durch standardisierte CSFs schlechte oder inkonsistente Rehabilitationsverläufe früh identifiziert und so die Therapieprogramme noch besser angepasst werden.

Highlights

Neue Versorgungswege für geriatrische Patienten

Ergebnisse des neuen Modells der rehabilitativen Übergangspflege für geriatrische Patienten, wurden im November 2023 mit einem Posterpreis, auf der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation belohnt.

Neue Aufgabe

Silvia Lechner, die bisher die wirtschaftlichen und administrativen Belange des Institutes im Auge hatte, wechselt in die Geschäftsführung der Salzburger Landeskliniken (SALK).

Ausgewählte Publikationen

Usability of Electronic Patient-Reported Outcome Measures for Older Patients With Cancer: Secondary Analysis of Data from an Observational Single Center Study. Riedl D, Lehmann J, Rothmund M, Dejaco D, Grote V, Fischer MJ, Rumpold G, Holzner B, Licht T

J Med Internet Res. 2023 Sep 21;25:e49476. doi: 10.2196/49476. PMID: 37733409; PMCID: PMC10557001

Immune consequences of exercise in hypoxia: A narrative review. Burtscher J, Pasha Q, Chanana N, Millet GP, Burtscher M, Strasser B

J Sport Health Sci. 2023 Sep 19:S2095-2546(23)00092-3. doi: 10.1016/j.jshs.2023.09.007. Epub ahead of print. PMID: 37734549

Mentalizing and epistemic trust as critical success factors in psychosomatic rehabilitation: results of a single center longitudinal observational study. Riedl D, Rothmund MS, Grote V, Fischer MJ, Kampling H, Kruse J, Nolte T, Labek K, Lampe A

Front Psychiatry. 2023 May 12;14:1150422. doi: 10.3389/fpsyt.2023.1150422. PMID: 37252135; PMCID: PMC10213326

C-terminal agrin fragment as a biomarker of muscle wasting and weakness: a narrative review. Monti E, Sarto F, Sartori R, Zanchettin G, Löfler S, Kern H, Narici MV, Zampieri S

J Cachexia Sarcopenia Muscle. 2023 Apr;14(2):730-744. doi: 10.1002/jcsm.13189. Epub 2023 Feb 11. PMID: 36772862; PMCID: PMC10067498

Leitlinie S1 für das Management postviraler Zustände am Beispiel Post-COVID-19 [S1 guidelines for the management of postviral conditions using the example of post-COVID-19]. Rabady S, Hoffmann K, Aigner M, Altenberger J, Brose M, Costa U, Denk-Linnert DM, Gruber S, Götzinger F, Helbok R, Hüfner K, Koczulla R, Kurz K, Lamprecht B, Leis S, Löffler J, Müller CA, Rittmannsberger H, Rommer PS, Sator P, Strenger V, Struhal W, Untersmayr E, Vonbank K, Wancata J, Weber T, Wendler M, Zwick RH

Wien Klin Wochenschr. 2023 Jul;135(Suppl 4):525-598. German. doi: 10.1007/s00508-023-02242-z. Epub 2023 Aug 9. PMID: 37555900; PMCID: PMC10504206

Das Team

Am Ludwig Boltzmann Institute for Rehabilitation Research wird die Forschung in einem einzigartigen Rahmen betrieben, bei dem sich dieses Projekt durch eine inklusive Perspektive auszeichnet. Hierbei werden aktiv die Stimmen der betroffenen PatientInnen, Kliniker:innen sowie der wissenschaftliche Forschungsstand integriert. Durch diesen partizipativen Ansatz entstehen einzigartige Erkenntnisse und individuell angepasste Lösungen für eine verbesserte Rehabilitation.

Chiara Veltrano

Leitung

Priv.-Doz. Dr. Michael Fischer

Leiter (bis 12/2023)

DDr. Vincent Grote

Leiter (seit 1/2024)

7
Key-Researcher:innen
3
PhD-Student:innen/Dissertant:innen
1
Bachelorstudent:innen
1
Wissenschaftliche Fachkräfte
2
Wissenschaftliches Forschungspersonal
5
Administratives Personal
3
Sonstiges Personal

Partner

Physiko- und Rheumatherapie Institut Physikalische Medizin (AT)
VAMED Management und Service GmbH (AT)
Stand: Mai 2024

Wissenschaftlicher Beirat

Prof. Ugo CarraroUniversity of Padua (IT)
Prof. Dr. Matthias FinkKlinik für Rehabilitationsmedizin, Medizinische Hochschule Hannover (DE)
Prof. Francesca GimiglianoUniversity of Campania „Luigi Vanvitelli“, Neapel (IT)
Stand: Mai 2024

Wir nutzen Cookies zur Webanalyse.
Informationen zum Datenschutz

ablehnen
einwilligen