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Co-Creation in der
Versorgungsforschung
Forschungsgruppe Alterung und WundheilungWie sieht die Versorgung von chronischen Wundpatient:innen im österreichischen Gesundheitssystem aus? Wie können Sozialwissenschaften und partizipative Ansätze zu einer Verbesserung dieser Situation beitragen? Diesen Fragen geht die Programmlinie Co-Creation, angesiedelt innerhalb der Forschungsgruppe SHoW – Senescence and Healing of Wounds, unter der Leitung von Co-Direktor Raffael Himmelsbach nach.
Die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten sind in drei Projekten mit folgenden Inhalten organisiert: Beschreibung der aktuellen Versorgungslage, Erforschung von gesundheitspolitischen Steuerungsmechanismen und Entwicklung von konkreten Interventionen. Gemeinsam haben diese Projekte, dass Patient:innen, Angehörige und Professionist:innen zentrale Wissensgeber:innen und Mitentwickler:innen sind.
Eine der ersten Forschungstätigkeiten war die Beschreibung der Versorgungsstrukturen und der Bedürfnisse in der Praxis. Dazu führte Co-Creation-Expertin Conny Schneider Gespräche mit Akteur:innen in ganz Österreich. Auch gesundheitspolitische Dokumente wurden ausgewertet. Ursprünglich aus dem Feld der Geweberegeneration kommend, war Schneider überrascht, dass nicht therapeutische Hilfsmittel, sondern die Verbesserung der Versorgungsstrukturen als größte Herausforderung angesehen wurde. Der resultierende Bericht fand großen Anklang unter den Professionist:innen. Endlich gebe es ein Dokument, welches den Problemdruck glaubwürdig beschreibe und Praktiker:innen in ihrer Alltagswahrnehmung bestärke, so der Tenor der Rückmeldungen.
Diese Forschungstätigkeit war auch der Startschuss zur Vernetzung unter Betroffenen und Professionist:innen. Teammitglieder hospitierten auf Stationen, in Ordinationen und begleiteten Behandler:innen zu Patient:innen. Schneider absolvierte sogar eine Wundmanagement-Weiterbildung, von der alle im Team profitieren. „Meine Lernziele in diesen Kursen waren: Wissen über chronische Wunden zu gewinnen, mehr in Erfahrung zu bringen, wer die Menschen in diesen Kursen sind – wo sie herkommen, was sie besonders beschäftigt –, und die pädagogische Praxis kennenzulernen, das heißt, wie pflegerisches Fachwissen vermittelt wird. In den Pausen wurde mir viel von dem Problemdruck in der Praxis berichtet.“ Sich mit der Expertise anderer Felder auseinanderzusetzen und deren Sprache zu lernen, ist für die Sozialwissenschaften oft unumgänglich. Für Doktorandin Deborah Drgac ist das die Voraussetzung, Problemverständnisse und damit verbundene Interessenlagen einordnen zu können. Auch müsse Vertrauen geschaffen werden, denn nur so gewinne man die Bereitschaft von Behandler:innen und ihren Patient:innen, in ein Forschungsinterview einzuwilligen. „Wenn ich die Frage in den Raum stelle, ob es okay ist, wenn wir über ihre chronische Wunde sprechen, und die Patient:innen dem zustimmen, dann wissen sie ungefähr, dass das ein emotionales Gespräch werden wird. Und trotzdem habe ich sehr viel Offenheit erfahren“, so Drgac.
Wie das Team durch seine bisherige Forschungstätigkeit in Erfahrung bringen konnte, verzögert sich die Diagnose der Wundursache oft um Monate bis Jahre. Patient:innen leiden unter dieser Fehlversorgung und verlieren das Vertrauen in ihre Behandler:innen. Ein sogenannter Design-Thinking-Prozess hilft den Wissenschaftler:innen, mit Versorger:innen und Betroffenen an Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten. Die Kunst ist dabei, nicht die vermeintlich konkreteste Idee als die beste zu erachten, sondern nach jedem gemeinsamen Treffen wieder einen analytischen Schritt zurückzugehen und die Annahmen hinter den Lösungsvorschlägen zu analysieren. „Wir geben einen immer engeren Rahmen vor, aber wie dieser befüllt wird, obliegt den Menschen, die wir einladen“, beschreibt Co-Creation- Expertin Marie Niederleithinger den Prozess.
Der partizipative Ansatz ist für den Forschungsauftrag der Gruppe zentral. Er ermöglicht, zeitnah auf Herausforderungen der medizinischen Praxis einzugehen. Aber er braucht die Kontextualisierung durch die sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung, die auf die Beschreibung von Mustern sozialen Handelns abzielt und nicht auf die Lösung eines bestimmten Problems. „Diese Kombination von Methoden ist wie ein Kaleidoskop, dessen verschiedene Perspektiven uns davor bewahren, zu schnell Schlüsse zu ziehen. Unsere Ergebnisse werden so robuster und gewinnen an gesellschaftlicher Relevanz“, bilanziert Himmelsbach.
Highlights
Nah an der Haut
Künstliche Hautmodelle für die Forschung, um Tiermodelle zu ersetzen: Im Projekt VascuSKIN bilden biomedizinische Wissenschaftler:innen von SHoW die Anatomie der Haut so genau wie möglich nach. Ihr Modell hat bereits eine Dermis mit Kapillaren, das nächste Ziel sind größere Blutgefäße. Sie können die künstliche Haut direkt versorgen. VascuSKIN wird vom FWF im Programm „Ersatzmethoden für Tierversuche“ gefördert.
Aktivierende Signale
Die biomedizinischen Forscher:innen von SHoW haben einen neuen Erklärungsansatz entwickelt, der beschreibt, was in der Haut zwischen einer Verletzung und der Heilung passiert. Wird die Haut von Säugetieren verwundet, wird in einer klar definierten Zone um die Wunde das Protein rpS6 in gesunden Zellen aktiviert. Das Gewebe reagiert darauf, die Zone mit dem aktivierten rpS6 könnte als prognostischer und diagnostischer Marker für den Heilungsprozess genutzt werden.
Exzellente Forschung
Dr. Mikolaj Ogrodnik wurde 2022 für seine Forschungsidee mit einem Excellence Award der Federation of European Biochemical Societies (FEBS) ausgezeichnet. Der Preis ist mit 100.000 Euro dotiert und finanziert wissenschaftliche Ausrüstung und Materialien. Dr. Mikolaj Ogrodnik leitet die biomedizinische Forschungsgruppe von SHoW. Im Fokus seiner Arbeit steht die zelluläre Seneszenz im Kontext von Alterung, Verletzung und Heilung.
Ausgewählte Publikationen
The role of senescence in cellular plasticity: Lessons from regeneration and development and implications for age-related diseases. Ring NAR, Valdivieso K, Grillari J, Redl H, Ogrodnik M
Die Versorgung chronischer Wunden durch das österreichische Gesundheitssystem – eine Übersicht. Schneider C, Drgac D, Niederleithinger M, Hruschka V, Himmelsbach R
Das Team
Leitung
Raffael Himmelsbach, PhD
Co-Direktor, Open Innovation Manager
a.o. Univ. Prof. Dr. Heinz Redl
Co-Direktor, Wissenschaftlicher Leiter