Archiv des Unfassbaren

LBI for Digital History

Bestimmte Bilder prägen die kollektive Erinnerung an den Holocaust und die Gräuel des Nationalsozialismus. Seit vier Jahren erforscht das LBI for Digital History in diesem Zusammenhang digitale Technologien bei der Erschließung, Untersuchung und Vermittlung von Bildmaterial und Textdokumenten.

Die multimediale Plattform führt Film-, Foto- und Textmaterial über die Befreiung der Konzentrationslager und die Entdeckung anderer Orte von NS-Massenverbrechen aus staatlichen und privaten Archiven der Alliierten zusammen und stellt diese in Bezug zueinander.

„Wir alle haben Bilder im Kopf, wenn man uns nach dem Holocaust fragt“, erklärt Ingo Zechner, Projektleiter und Direktor des LBI for Digital History. Aber unser Bildgedächtnis sei ein Gedächtnis, auf das wir uns kaum verlassen könnten, da es immer wieder neu konfiguriert werde, so Zechner weiter. Wie verändert sich unser Bildgedächtnis mit der Wiederverwendung von Bildern in unterschiedlichen Kontexten? Wie verändert es sich mit neuen Bildern? Mit zeitlicher Distanz und dem Fehlen von Zeitzeug:innen stellt sich die Frage, wie Erinnerungskultur gelebt wird. Kann ein medienkritisches Verständnis von historisch relevanten Bildern mit digitalen Mitteln erzielt werden?

In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Filmmuseum, der TU Wien und weiteren Partner:innen in Österreich, Deutschland, Frankreich, Israel und den USA ist es dem Team des Projekts „Visual History of the Holocaust: Rethinking Curation in the Digital Age“ gelungen, eine multimediale digitale Plattform zu erstellen. Sie führt Film-, Foto- und Textmaterial über die Befreiung der Konzentrationslager und die Entdeckung anderer Orte von NS-Massenverbrechen aus staatlichen und privaten Archiven der Alliierten zusammen und stellt diese in Bezug zueinander. 477 Filmrollen wurden für das Projekt digitalisiert und für die digitale Langzeitarchivierung aufbereitet. Damit machen die Wissenschaftler:innen neues Archivmaterial für die Öffentlichkeit zugänglich und haben zusätzlich ein Tool geschaffen, mit diesem Material zu arbeiten. Die Plattform richtet sich nicht nur an Wissenschaftler:innen für Forschungszwecke, sondern soll auch Vermittler:innen in Gedenkstätten und Medienproduzent:innen bei ihrer Arbeit unterstützen.

„Die letzten vier Jahre waren ein Balanceakt zwischen dem herausfordernden Thema und den technischen Schwierigkeiten, gleichzeitig hat uns beides geholfen, unsere Forschungsfragen noch präziser zu stellen“, beschreibt Zechner den komplexen Umgang mit dem Material und den technischen Möglichkeiten. Unter dem Begriff „avancierte Digitalisierung“ erarbeitete das Forschungsteam sieben Thesen zur Digitalisierung von historischen Objekten. Diese widersprechen der landläufigen Meinung, dass ein Transfer von Objekten in den digitalen Raum mit Verlusten einhergeht. „Solange das analoge Original aufbewahrt ist, ist die Digitalisierung immer ein Gewinn“, so der Historiker. Denn die Digitalisierung sei nicht nur ein Herstellen von digitalen Kopien, sondern ein erster Schritt zur digitalen Informationsverarbeitung. Das hybride Medienobjekt wird zum Knotenpunkt zwischen den Relationen zu seinem analogen Original und anderen Medienobjekten, seinen Daten und Metadaten sowie seiner Verwendung. Der digitale Raum verwandelt das analoge Objekt in ein Netzwerk aus Informationen und Beziehungen.

Das im Rahmen der Forschungsinitiative Horizon 2020 der Europäischen Union geförderte und vom LBI for Digital History koordinierte Projekt hat mit der digitalen Plattform nicht nur neue Zusammenhänge für die Holocaustforschung sichtbar gemacht, sondern auch Impulse für avancierte Digitalisierungskonzepte von visuellem Kulturerbe gesetzt. Das Österreichische Filmmuseum konnte im Zuge der Zusammenarbeit ein erweitertes Digitalisierungsmanagement für die Langzeitarchivierung in Wien etablieren. Neben dem inhaltlichen Output zeigt das Projekt deutlich, wie fruchtbar die transdisziplinäre Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachrichtungen und Institutionen für die Wissenschaft sein kann.

Highlights

14. Österreichischer Zeitgeschichtetag

Unter dem Titel „Digital History: Was jetzt?“ diskutierten Institutsleiter Ingo Zechner und Wissenschaftler:innen des LBI DH anhand von Beispielen aus der eigenen Forschung die Veränderungen, die die digitale Transformation für die Geschichtswissenschaft und verwandte Disziplinen mit sich bringt. Das Panel fand am 21. April 2022 an der Universität Salzburg statt.

Abschlusspräsentation Rechtsakten Karl Kraus

Am 5. Mai 2022 präsentierte das Forschungsteam um Katharina Prager die umfangreiche digitale Edition „Rechtsakten Karl Kraus“, die Einblick in die juristischen Kämpfe des Satirikers in der bewegten Zeit zwischen Gründung der Ersten Republik und austrofaschistischer Diktatur gibt.

Internationale Konferenz „Educational Film as Practice: Settings, Procedures, Agencies“

Filme mit Bildungsauftrag erschöpfen sich nicht in Form und Inhalt, sie waren in eine Vielzahl an Praktiken eingebettet. Im Österreichischen Filmmuseum wurde darüber von 9. bis 11. Juni 2022 mit internationalen Gästen des FWF-Projekts „Praktiken des Lehr- und Unterrichtsfilms in Österreich“ diskutiert.

Ausgewählte Publikationen

The Auschwitz Tattoo in Visual Memory. Mapping Multilayered Relations of a Migrating Image. Tobias Ebbrecht-Hartmann, Fabian Schmidt und Noga Stiassny

Research in Film and History. Video Essays (November 2022), https://film-history.org/node/1129

Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Simon Ganahl und Katharina Prager (unter Mitarbeit von Isabel Langkabel und Johannes Knüchel)

Berlin: J.B. Metzler 2022

Das letzte Lager. Evakuierungstransporte und Todesmärsche in der Endphase des KZ-Komplexes Mauthausen. Alexander Prenninger

Mauthausen-Studien, Bd. 16. Wien: new academic press 2022, 412 Seiten

Filmen als Selbstbehauptung. Ellen Illichs Familienfilme im Kontext nationalsozialistischer Verfolgung. Michaela Scharf

Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, 19, H.1 (2022), S. 170–185

Filmography of the Genocide: Official and Ephemeral Film Documents on the Persecution and Extermination of the European Jews 1933–1945. Fabian Schmidt und Alexander Oliver Zöller

Research in Film and History. Audiovisual Traces, no. 4 (February 2022), S. 1–160

Das Team

Das LBI DH hat sich eine im deutschen Sprachraum seltene Expertise im Umgang mit Archivquellen und in ihrer nachhaltigen digitalen Analyse und Präsentation aufgebaut. Mein Arbeiten als Filmwissenschaftler hat das LBI DH damit seit über einem Jahrzehnt geprägt und produktiv herausgefordert, von den Fragestellungen bis hin zu den Publikationsformaten.

Wissenschaftlicher Mitarbeiter (assoziiert), ProjektleiterDr. Joachim Schätz

Leitung

Mag. Dr. Ingo Zechner

Leiter

3
Postdocs
6
PhD-Student:innen/Dissertant:innen
1
Diplomand:innen/Masterstudent:innen
3
Wissenschaftliches Forschungspersonal
2
Administratives Personal

Partner

Technische Universität Wien (AT)
Österreichisches Filmmuseum (AT)
Universität Bremen (DE)
Stand: Mai 2023

Wissenschaftlicher Beirat

Prof. Dr. Giovanna FossatiUniversity of Amsterdam (NL)
Dr. Michael Haley GoldmanNew Hampshire Humanities (US)
Prof. Dr. Andreas MaierFriedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (DE)
Stand: Mai 2023

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