Große Ziele für die kleinsten Teilchen

Exzellente Forschung in den Feldern Nanovesikuläre Präzisionsmedizin, Netzwerkmedizin sowie Wissenschaftsvermittlung und Pandemievorsorge

Vom Blick auf die kleinsten Partikel, die die Körperfunktionen steuern, erhofft sich die Wissenschaft große Behandlungserfolge in der Medizin. Drei neue Ludwig Boltzmann Institute verfolgen hier innovative Ansätze, die ein völlig neues medizinisches Spektrum eröffnen könnten. Das Interview führte Eva Stanzl.

v.l.: Sektionschefin im BMBWF Barbara Weitgruber, LBG-GF Marisa Radatz, LBG-Präsidentin Freyja-Maria Smolle-Jüttner, LBI-Leiterin Nicole Meisner-Kober, LBG-GF Elvira Welzig, LBI-Leiter Jörg Menche, LBI-Leiter Florian Krammer. LBG / Julia Dragosits
Präsentation der drei neuen LBI im Februar 2024. V.l.: Sektionschefin im BMBWF Barbara Weitgruber, LBG-GF Marisa Radatz, LBG-Präsidentin Freyja-Maria Smolle-Jüttner, LBI-Leiterin Nicole Meisner-Kober, LBG-GF Elvira Welzig, LBI-Leiter Jörg Menche, LBI-Leiter Florian Krammer. LBG / Julia Dragosits

Wissenschaft für und mit der Gesellschaft ist das Ziel der drei neuen Ludwig Boltzmann Institute (LBI) im Bereich Health Science. Das LBI Modell wurde für den Call 2023 gründlich überarbeitet, ein wesentliches Leitprinzip ist der Fokus auf „People, not Projects“: Im Vordergrund stehen ausgezeichnete Wissenschaftler:innen (Institute Directors), die in der Lage sind, neue Fragestellungen hervorzubringen und ihre Forschung permanent auf einem qualitativ hohen Niveau auszuführen.

Das Ludwig Boltzmann Institut für Nanovesikuläre Präzisionsmedizin an der Paris Lodron Universität Salzburg (LBI-NVPM) unter der Leitung von Univ. Prof. Dr. Nicole Meisner-Kober verfolgt die Mission, völlig neuartige Therapien zu entwickeln, die ein körpereigenes zelluläres Kommunikations- und Transportsystem im Nanomasstab ausnutzen und dabei hocheffektive, schonende und zielgerichtete Behandlungsstrategien ermöglichen.

 

Das Ludwig Boltzmann Institut für Netzwerkmedizin an der Universität Wien (LBI-NetMed) unter der Leitung von Univ. Prof. Dr. Jörg Menche sucht nach neuen Ansätzen, die Architektur des menschlichen Körpers zu entschlüsseln, um besser zu verstehen, wie Störungen in diesem System Erkrankungen verursachen.

Das Ludwig Boltzmannn Institut für Wissenschaftsvermittlung und Pandemievorsorge an der Medizinischen Universität Wien (Science Outreach and Pandemic Preparedness – LBI-SOAP) unter der Leitung von Univ. Prof. Dr. Florian Krammer wird sich ab 2025 auf die Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und die Vorbereitung auf potenzielle Pandemien konzentrieren.

Eva Stanzl: Vom Blick auf die kleinsten Teilchen erhofft man sich große Behandlungserfolge in der Medizin. Drei neue Ludwig Boltzmann Institute (LBI) verfolgen hier innovative Ansätze. Als vielversprechend gilt etwa die nanovesikuläre Präzisionsmedizin, die Therapien ohne Nebenwirkungen ermöglichen könnte. Woran wird an dem an der Universität Salzburg beheimateten Institut geforscht?

Nicole Meisner-Kober: Das Ludwig Boltzmann Institut für nanovesikuläre Präzisionsmedizin will ein zentrales, körpereigenes Transportsystem nützen. Zellen kommunizieren miteinander, indem sie Botenstoffe aussenden. Diese Botenstoffe werden oftmals zusammengepackt in kleine Pakete, die man sich als winzige Bläschen vorstellen kann und die Nanovesikel genannt werden. Nanovesikel sind verschieden beladen und haben unterschiedliche Funktionen. Jede Zelle sendet sie aus. Ein molekularer Adresscode steuert den Transport von der Senderzelle zur Empfängerzelle. Die Empfängerzelle packt den Inhalt aus und reagiert demgemäß. Wir wollen Wirkstoffe in die Vesikel schleusen, um Krankheiten gezielt therapieren zu können.

Warum ist das wichtig?

Meisner-Kober: Die Wirkstoffentwicklung hat eine gläserne Decke erreicht. Wir werden älter, chronische Erkrankungen häufen sich. Es wurde zwar intensiv nach neuen Wirkstoffen gegen Krebs, neurodegenerative oder chronisch-entzündliche Erkrankungen gesucht, aber sie sind sehr schwer behandelbar. Durchbrüche könnte man mit neuen Wirkstoffklassen erzielen, die am Zielort ankommen, ohne dass das Immunsystem sie als fremd erkennt und eliminiert. Nur dann können sie präzise wirken.

Könnte das LBI für nanovesikuläre Präzisionsmedizin eine Chemotherapie ohne Nebenwirkungen hervorbringen, die nur die Krebszellen schädigt, gesundes Gewebe aber nicht in Mitleidenschaft zieht?

Meisner-Kober: Eine nebenwirkungsfreie Chemotherapie wäre eine Möglichkeit. Stammzelltherapie, bei der Vesikel die umliegenden Zellen dazu bringen, sich zu regenerieren und neu zu teilen, wäre eine andere. Idealerweise wären die Wirkstoffe verpackt in eine Substanz, die wir oral verabreichen könnten.

Menschen sollen Medikamente trinken?

Meisner-Kober: Wenn das gelingt, hätten wir eine breite Anwendungspalette.

Jörg Menche, auch in Ihrem Institut geht es um Zielsicherheit. Woran forschen Sie am LBI Netzwerkmedizin an der Medizinischen Universität Wien?

Jörg Menche: Wir alle haben etwa 20.000 Gene, die verschiedene Proteine erzeugen. Sie interagieren, um bestimmte biologische Funktionen zu erreichen. Wir wollen verstehen, welche Rolle Netzwerke dabei im Körper spielen und wie sie bei Krankheit gestört sein können. Auf molekularer Ebene untersuchen wir, wie die Netzwerke in Zellen funktionieren und von Zelle zur Zelle kommunizieren, wie Organe Signale austauschen und welche Netzwerke mehrere Krankheiten in ein- und derselben Person aufbauen.

Welche Netzwerke habe ich zum Beispiel in meinem gesunden Arm?

Menche: Interaktionen zwischen Einzelteilen sind die Grundlage aller Prozesse in uns. Als Physiker darf ich das so beschreiben: Wenn Sie Ihren Arm bewegen, ziehen auf molekularer Ebene winzige Motoren an Seilen, was dazu führt, dass Sie den Arm abwinkeln. Die Energie dafür wird von kleinen molekularen Pumpen erzeugt, die in den Mitochondrien sitzen und aus Proteinen zusammengebaut werden. Dieses Zusammenwirken kann man zu Netzwerken abstrahieren. Sie können verschiedenste Muster annehmen. Wir untersuchen die biologische Bedeutung solcher Muster.

Wie können diese für das freie Auge unsichtbaren Verbindungen helfen, Erkrankungen zu therapieren?

Menche: Viele Erkrankungen sind das Resultat von Störungen in diesen molekularen Interaktionen. Ein ambitioniertes Ziel ist, Erkrankungen neu zu definieren – weg von Symptomen und hin zur exakten Bestimmung der mechanistischen Ursachen, die hinter einer gestörten Wechselwirkung von Proteinen stehen.

Könnten Ihre Institute in gewissen Bereichen zusammenarbeiten?

Menche: Idealerweise könnten wir sogar identifizieren, welche Moleküle wir in die Nanovesikel verpacken sollen, damit sie die gewünschte Wirkung in einer erkrankten Zelle tatsächlich entfalten.

Wie sprechen Zellen miteinander?

Menche: Eine Möglichkeit ist, chemische Botenstoffe auszuschütten, die eine Signalkaskade auslösen.

Meisner-Kober: Man unterscheidet auch zwischen benachbarten Zellen, die in direktem Kontakt stehen und mechanische Reize oder chemische Botenstoffe austauschen, und der Zellkommunikation über Entfernungen, etwa durch Hormone, die allerdings oft keine Zielrichtung haben. Der Vorteil der Vesikel wiederum ist, dass der Inhalt lange stabil bleibt und die Außenseite einen molekularen Adresscode enthalten kann.

Florian Krammer, Viren-Partikel hat das LBI für Wissenschaftskommunikation und Pandemievorsorge an der MedUni Wien im Blick. Welche neuen Pandemien sind zu befürchten?

Florian Krammer: Ein Virus ist eine schlechte Nachricht, verpackt in Proteine, und die Liste ist lang. Etwa wurde in Milchkühen in den USA kürzlich das Vogelgrippe-Virus H5N1 entdeckt – ein großes Problem. Auch andere Erreger geben Anlass zur Sorge, etwa das Nipah-Virus, das von Flughunden kommt, beim Menschen eine häufig tödlich verlaufende Gehirnentzündung auslösen kann und teilweise sogar respiratorisch übertragbar ist. Auch das Coronavirus MERS könnte ein Problem darstellen.

Bei der Corona-Pandemie wurde ein tierisches Virus von Mensch zu Mensch übertragbar. Welche Entwicklungsschritte sind dazu nötig?

Krammer: Eine Pandemie kann dann erstehen, wenn es zu einer Infektion in einem Säugetier kommt, das zugleich mit einem Säugetier-Influenzavirus infiziert ist. Dadurch können die Erreger genetisches Material austauschen. Heraus kommt ein Virus, das gut mit Säugetier-Zellen umgehen kann, aber Oberflächenproteine hat, die das menschliche Immunsystem nicht erkennt. Das Virus muss aber auch gut an die oberen Atemwege von Menschen binden können und die Replikationsmaschinerie muss an Säugetier-Zellen angepasst sein.

Sie untersuchen Erreger in Tieren im Stadtraum.

Krammer: In unserem LBI geht es darum, sich auf die nächste Pandemie vorzubereiten. Dazu muss man wissen, was zirkuliert. Wir fokussieren auf Schnittstellen zwischen Mensch und Tier, die in der Stadt wegen der hohen Dichte problematisch sein könnten. Etwa wollen wir uns Influenzavieren in Vögeln anschauen, ebenso wie Erreger in Ratten und Fledermäusen. Es braucht ein Bewusstsein in der Bevölkerung, dass es hier zu Problemen kommen könnte. Daher haben wir uns auch die Einbindung der Bevölkerung in die Wissenschaft zur Aufgabe gemacht.

Wie entsteht ein Konzept für ein neues LBI?

Menche: Meine Host Institution hat mich auf diesen Call aufmerksam gemacht und ich sah darin die Möglichkeit, die Fortschritte meiner Arbeitsgruppe in einen größeren Zusammenhang zu stellen, um mit einer Finanzierung für zehn Jahre strategisch zu forschen.

Meissner-Kober: Ich war 20 Jahre in der präklinischen Forschung in der Pharmaindustrie mit Schwerpunkt mRNA-Forschung tätig und habe die Lipid-Nanopartikel mitentwickelt, die das Covid-Vakzin im Körper an die richtigen Stellen bringen. Die Verabreichung von zielgerichteten Wirkstoff-Klassen gewann in dieser Zeit an Bedeutung. Ich habe jedoch festgestellt, dass hier noch viele Grundlagen zu lösen sind. Daran wollte ich arbeiten. Ich erhielt eine Stiftungsprofessur vom Land Salzburg, um eine Spezialisierung im Bereich Nanovesikel aufzubauen, und das LBI ist das perfekte Instrument, um eine kritische Masse erreichen zu können.

Krammer: Ich arbeite im Rahmen meiner Tätigkeit im Mount-Sinai-Spital in New York auch mit Personen aus der Wissenschaftskommunikation zusammen. Da ich in Wien das geplante Semmelweis-Institut aufbauen werde, wollte ich auch hier den Bogen von der Pandemievorbereitung zur Community Science spannen. Es wird Pilotprojekte mit Schulklassen geben und hoffentlich ein fahrendes Labor zum Mitmachen.

Was war ausschlaggebend für den Zuschlag?

Krammer: Bei mir hat es sicherlich damit zu tun, dass wir gerade eine Pandemie hatten.

Menche: Wissensgewinn aus Daten ist in aller Munde und unser Institut arbeitet datengetrieben. Auch die Idee, dass man die Komplexität des Körpers grundlegend anders verstehen muss als bisher, hat überzeugt.

Meissner-Kober: Ich glaube, dass unser Institut aus dem genuinen Bedarf heraus entstanden ist. Tatsächlich ist ein LBI das perfekte Instrument, um diesen neuartigen Ansatz in die Anwendung zu bringen.

Die Institute sollen ein Renommee für die Beteiligten und die heimische Forschungslandschaft darstellen. Gibt es eine spezielle Herangehensweise, um diesem Wunsch zu begegnen?

Krammer: Harte Arbeit, um wissenschaftliche Daten zu schaffen.

Meissner-Kober: Eine genuine Bereitschaft zur interdisziplinären Teamarbeit.

Menche: Die Antwort hängt davon ab, ob Renommee für den Forscher, das Fachgebiet oder den Standort erzielt werden soll. Ich jedenfalls möchte unser Gebiet auf international führender Ebene in Wien etablieren.

Krammer: Bei uns wird es auch darum gehen, Konzepte für Community Science zu etablieren, denn noch wichtiger als Renommee ist die Ausbildung von Nachwuchs.

Eva Stanzl ist Wissenschaftsredakteurin der „Wiener Zeitung“ und Vorsitzende des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen Österreichs.

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