Förderung innovativer und nachhaltiger Forschung im klinischen Bereich

Klinische Forschungsgruppen (KFG)

Mit MOTION, ATTRACT und dem Austrian Digital Heart Program starteten 2023 die drei ersten Projekte, die durch das Förderprogramm Klinische Forschungsgruppen der Ludwig Boltzmann Gesellschaft gefördert werden. Mit innovativen Ansätzen stärken sie die nachhaltige klinische Forschung und Translation von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die medizinische Praxis in Österreich.

v.l.: Marisa Radatz, LBG-Geschäftsführerin; Thomas Reiberger, Medizinische Universität Wien; Anna Sophie Berghoff, Medizinische Universität Wien; Martin Polaschek, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung; Freyja-Maria Smolle-Jüttner, LBG-Präsidentin; Sebastian Reinstadler, Medizinische Universität Innsbruck; Elvira Welzig, LBG-Geschäftsführerin. © Anna Stöcher
Präsentation der drei neuen Klinischen Forschungsgruppen in den Bereichen Kardiologie, Gastroenterologie und Onkologie im September 2023. V.l.: Marisa Radatz, LBG-Geschäftsführerin; Thomas Reiberger, Medizinische Universität Wien; Anna Sophie Berghoff, Medizinische Universität Wien; Martin Polaschek, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung; Freyja-Maria Smolle-Jüttner, LBG-Präsidentin; Sebastian Reinstadler, Medizinische Universität Innsbruck; Elvira Welzig, LBG-Geschäftsführerin.

Mit den Klinischen Forschungsgruppen (KFG) schließt die Ludwig Boltzmann Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung und dem Fonds Zukunft Österreich eine wichtige Lücke in der österreichischen Förderlandschaft und ermöglicht es Teams von Forscher:innen, langfristig und nachhaltig zusammenzuarbeiten. Die erste Ausschreibung fand 2022 statt und aus den 44 eingereichten Projekten wurden durch unabhängige Gutachter:innen und eine internationale Expert:innenkommission in einem mehrstufigen Verfahren bis Sommer 2023 drei davon zur Förderung ausgewählt. Diese wurden im September 2023 präsentiert und konnten bald danach ihre Arbeit beginnen. Die drei Projekte – MOTION, ATTRACT und das Austrian Digital Heart Program – werden nun für bis zu acht Jahre und mit je bis zu acht Millionen Euro gefördert.

MOTION

Die Pfortader ist eine Vene, die Blut von Organen im Bauch zur Leber führt. Ein erhöhter Druck in ihr kann zu schweren Komplikationen bei Patient:innen mit Lebererkrankungen wie Leberzirrhose führen. Prof. Doz. Dr. Thomas Reiberger führt mit seinem Team im Rahmen des MOTION-Forschungsprojekts an der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie in Kooperation mit den Abteilungen für Anästhesie und Radiologie an der Medizinischen Universität Wien und dem CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin drei klinische Studien zu neuen Behandlungsmöglichkeiten für Pfortaderhochdruck durch. Das MOTION-Team wird dabei von Prof. Dr. Michael Trauner als Mentor unterstützt.

„Seit über 40 Jahren gibt es keine neu zugelassenen Therapien für Pfortaderhochdruck und die einzig verfügbare medikamentöse Therapie mit nicht selektiven Betablockern wirkt auch nur bei etwas mehr als 50 Prozent der Patienten“, erklärt Reiberger. „Dementsprechend haben wir einen enormen, bisher nicht adressierten klinischen Bedarf, den wir mit diesem Projekt bedienen wollen.“ Die Studien untersuchen nun neue Anwendungen existierender Medikamente für verschiedene Krankheitsbilder des Pfortaderhochdrucks.

Die erste der drei Studien befasst sich mit Patient:innen mit Pfortaderhochdruck in frühen Stadien der Leberzirrhose, bei denen die Leber noch ihre volle Funktion erfüllen kann. Dabei bekommen die Studienteilnehmer:innen über zwölf Wochen das blutdrucksenkende Medikament Telmisartan, das bereits für andere Krankheitsbilder eingesetzt wird, um seine Auswirkungen auf den Pfortaderhochdruck zu erforschen.

Die zweite Studie umfasst Patient:innen, bei denen die Leberzirrhose die Funktion der Leber mindert. Sie bekommen das Antibiotikum Norfloxacin verabreicht, das vor allem auf die Darmflora wirkt. Die Forscher:innen erhoffen sich, dass damit weniger Darmbakterien und Entzündungsbotenstoffe aus dem Darm ins Blut der Pfortader übertreten und der Druck darin abfällt.

In der dritten Studie werden Patient:innen mit Erkrankungen der Blutgefäße der Leber mit Edoxaban, einem Blutverdünnungsmedikament, behandelt. Diese Studie wird als Cross-over-Studie durchgeführt, was heißt, dass eine Patient:innengruppe zuerst ein Jahr lang nur beobachtet wird und dann ein Jahr lang das Medikament verabreicht bekommt. Bei einer anderen Gruppe werden dieselben Schritte, aber in umgekehrter Reihenfolge durchgeführt. Frühere Studien gaben vielversprechende Hinweise auf die Wirksamkeit des Medikaments.

„Gerade oft benachteiligten und stigmatisierten Gruppen von Patienten mit Lebererkrankungen, zum Beispiel Hepatitis C, wird häufig Alkohol- oder Drogensucht und somit ‚Eigenschuld‘ an ihrer Erkrankung vorgeworfen. Diese Gruppen werden von der Förderung für unsere klinische Forschungsgruppe MOTION durch die Ludwig Boltzmann Gesellschaft besonders profitieren“, fügt Reiberger hinzu. „Wir haben in der Hepatologie durch dieses Förderprogramm die einzigartige Möglichkeit bekommen, unabhängig von der Industrie klinische Studien mit vielversprechenden Medikamenten durchzuführen, um mögliche effektive Therapieansätze für unsere Patienten mit Pfortaderhochdruck zu entwickeln.“

Die MOTION-Forschungsgruppe arbeitet eng mit der Abteilung für Anästhesie zusammen, deren Mitarbeiter:innen weitreichende Erfahrungen mit Patient:innen mit Leberzirrhose haben, und mit Kolleg:innen der Radiologie, die mittels maschinellen Lernens neue Ansätze zur nichtinvasiven Diagnostik und Prognoseabschätzung entwickeln. Des Weiteren kooperieren sie mit Dr. Laura de Rooij am CeMM, um die zugrundeliegenden Interaktionen von Pfortaderhochdruck und Blutgefäßzellen besser zu verstehen.

ATTRACT

Glioblastome sind die häufigsten schädlichen Hirntumore bei Erwachsenen und weisen eine enorm schlechte Prognose sowie hohe Sterblichkeit und Symptomlast auf. Trotz intensiver Forschung konnten bisher keine Durchbrüche für neue Therapien erzielt werden, was unter anderem mit der limitierten Verfügbarkeit der Wirkstoffe im Gehirn und einer oftmaligen Resistenz gegen Chemotherapie, zielgerichtete Medikamente und Immuntherapie zusammenhängt. Bei ungefähr 60 bis 70 Prozent der Glioblastome führt ein genetischer Fehler sogar zu besonders ausgeprägter Resistenz gegen Chemotherapie. Assoc.-Prof. PD Dr. Anna Sophie Berghoff und ihr Team erforschen mit dem ATTRACT-Projekt neue Ansätze für individualisierte Therapiemethoden für Glioblastome. Dieses Projekt wird mit einer Vielzahl von Kooperationspartnern durchgeführt: dem biomedizinischen Forschungszentrum CBMed, den medizinischen Universitäten in Innsbruck, Graz und Wien, der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, der Universitätsklinik St. Pölten, der Johannes Kepler Universität, der Danube Private University und dem Austrian Institute of Technology. Als Mentor begleitet Univ.-Prof. Dr. Matthias Preusser das Projekt.

„Diese innovative Studie ist nur hier in Österreich und Dank der Förderung durch die Ludwig Boltzmann Gesellschaft möglich“, erklärt Berghoff. „Das liegt nicht nur an unserem exzellenten Team, sondern auch daran, dass wir mit der von CBMed entwickelten Ex-vivo-Drug-Screening-Plattform in Graz eines von weltweit nur fünf akademisch zugänglichen Systemen nutzen und mit einer Vielzahl von onkologischen Abteilungen zusammenarbeiten können.“ Dieses System kann die Wirksamkeit verschiedener Medikamente auf Tumorzellen testen, die den Patient:innen zuvor entnommen wurden. In der Studie werden 28 verschiedene Wirkstoffe außerhalb des Körpers der Patient:innen, also ex vivo, getestet, bevor sich die Patient:innen einer Behandlung unterziehen müssen. „Der Begriff ‚Glioblastom‘ beschreibt eigentlich mehrere ähnliche Krankheiten, die alle spezialisierte und personalisierte Therapieansätze erfordern“, fügt Berghoff hinzu.

Im Laufe der Studie wird zusätzlich eine neue Datenbank aufgebaut, welche Informationen über die Tumore, deren digitalisierte Gewebeproben, die Wirkstoffe und deren Effektivität und klinische Informationen für weiterführende funktionelle und translationale Forschung sammelt und katalogisiert. Die Analyse der Datenbank mittels maschinellen Lernens soll die Identifizierung von neuen plattformübergreifenden Biomarkern ermöglichen. Berghoff unterstreicht die Bedeutung der Datenbank: „Da es sich um eine im akademischen Kontext geförderte Studie handelt, werden alle Daten und Erkenntnisse daraus zukünftiger Forschung and weiteren Therapieansätzen zur Verfügung stehen.“

Austrian Digital Heart Program

Vorhofflimmern ist mit etwa 60 Millionen betroffenen Menschen die weltweit häufigste Herzrhythmusstörung. Sie bleibt jedoch oft unerkannt und kann das Risiko für Schlaganfälle, Herzinsuffizient und Embolien, d.h. die Verstopfung von Blutgefäßen, erhöhen. Ein besonderes Problem dabei ist, dass Vorhofflimmern häufig nur sporadisch auftritt und gerade bei älteren Menschen auch wenig bis keine Symptome verursacht. Dies hat zur Folge, dass in 30 Prozent der Fälle Vorhofflimmern erst dann erkannt wird, wenn bereits eine Komplikation auftritt. Das Austrian Digital Heart Program unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr. Sebastian Reinstadler, PhD, untersucht diese Erkrankung mit einem innovativen digitalen Ansatz auf einer breiten Basis, um eine frühzeitige Erkennung und Behandlung zu ermöglichen. Das Projekt wird von Univ.-Prof. Dr. Axel Bauer als Mentor unterstützt.

Bisherige Studien haben gezeigt, dass Österreich einen besonderen Bedarf an weitreichenden Früherkennungsmethoden hat, denn es hat unter Männern die vierthöchste und unter Frauen sogar die höchste Rate an Vorhofflimmern in Europa. Reinstadler und sein Team an der Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Universität Innsbruck entwickeln in Zusammenarbeit mit Expert:innen der Medizinischen Universität Graz und dem Austrian Institute of Technology (AIT) eine Applikation für Smartphones, die es den Anwender:innen erlaubt, sich selbst auf Vorhofflimmern zu testen. Das Gerät misst anhand der roten Färbung eines Fingers, der an die Kamera gehalten wird, dessen Durchblutung und kann damit auch die Herzfrequenz und etwaige Störungen darin feststellen.

Zwar sind ähnliche Applikationen schon auf dem Markt erhältlich, doch die Herausforderung besteht darin, aktiv die relevanten Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Dabei sollen vor allem ältere Menschen adressiert werden, bei denen das Vorhofflimmern häufiger zu Komplikationen führt.

Reinstadler erklärt die besonderen regulatorischen Herausforderungen des Projekts: „In unserer Studie legen wir sowohl großen Wert auf die Integration in das öffentliche Gesundheitssystem via der elektronischen Gesundheitsakte ELGA in Zusammenarbeit mit dem AIT als auch auf die datenschutzrechtlichen Aspekte, die in gewisser Weise noch Neuland sind.“

„Mit dieser digitalen Studie möchten wir auch eine Blaupause für weitere ähnliche Projekte liefern, die im kardiovaskulären Bereich und darüber hinaus eine wichtige Rolle spielen werden“, blickt Reinstadler in die Zukunft. „Das wird nicht nur Patient:innen zugutekommen, sondern auch den Wissenschaftsstandort Österreich international stärken.“

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